Grand Theft Empathy? Der Einfluss von Videospielgewalt auf die menschliche Empathie

In vielen Videospielen wird geschossen, gekämpft, und gemordet. Lässt uns virtuelle Gewalt auch im realen Leben weniger empathisch werden? Eine neue neurowissenschaftliche Studie gibt nun darüber Aufschluss.

[Warnung: der nächste Absatz enthält graphische Beschreibungen von Gewalt.]

Es ist Nacht und das gegnerische Lager liegt vor ihm. Er klettert auf eine Anhöhe und packt sein Scharfschützengewehr aus. Durch das Visier erkennt er einen Wachmann, der ihn entdecken könnte. Er zielt auf den Kopf. Sobald der rote Laserpunkt auf der Schläfe des Wachmanns erscheint, drückt er ab. Eine rote Wolke aus Blut und das Geräusch eines Körpers, der auf dem Asphalt aufschlägt, verraten ihm, dass er getroffen hat. Er schleicht sich weiter an das Lager heran. Ein weiterer Wachmann patrouilliert vor ihm. In einem geeigneten Augenblick packt er ihn von hinten, hält seinen Mund zu, und schneidet ihm mit einer gezielten Bewegung die Kehle durch. Nach einigen Sekunden lässt er den leblosen Körper auf den Boden gleiten. Doch da fällt plötzlich das Licht einer Taschenlampe auf ihn. Eine Wache, die er nicht gesehen hatte, hat ihn entdeckt und schlägt Alarm. Nach wenigen Augenblicken ist er umzingelt von schwerbewaffneten Gegnern. Er versucht noch, zu fliehen, aber schon nach wenigen Metern fällt er von hunderten Schüssen durchlöchert zu Boden. Aus der Vogelperspektive sieht man noch, wie sich eine tiefrote Blutlache unter seinem Körper bildet. Dann wird der Bildschirm schwarz.

Keine Sorge – es war alles nur ein Spiel! Die beschriebene Szene kann man im Videospiel Grand Theft Auto V erleben. Ähnliche Szenen spielen sich täglich tausendfach auf Bildschirmen in der ganzen Welt ab. Das Verletzen und Töten von menschlichen Charakteren ist seit jeher ein zentraler Teil vieler Videospiele, und mit jeder Entwicklung in Computergraphik und Rechenleistung werden die Gewaltdarstellungen noch realistischer und immersiver. Es verwundert daher nicht, dass viele Menschen besorgt sind: Was macht Videospielgewalt mit uns? Können sich Menschen in der virtuellen Spielwelt so sehr an Gewalt gewöhnen, dass sie auch gegenüber realer Gewalt abstumpfen? Spätestens seit den Amokläufen in Columbine 1999 und Erfurt 2002 wird immer wieder öffentlich diskutiert, ob „Killerspiele“ zu einer Verrohung von insbesondere Kindern und Jugendlichen führen.

Auch die psychologische Forschung beschäftigt sich bereits seit langem mit der Frage, ob Videospielgewalt zu einer Verringerung der Empathie führt. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, die Gefühle von anderen Menschen zu teilen und zu verstehen. Die Forschungsergebnisse sind allerdings alles andere als klar: Manche Studien fanden solche Effekte (Anderson et al., 2010), andere hingegen nicht (z.B. Kühn et al., 2010). Zudem ist die Aussagekraft vieler Studien stark eingeschränkt. So verglichen die meisten bisherigen Untersuchungen „Gamer“, welche bereits Erfahrungen mit Gewalt beinhaltenden Spielen gemacht hatten, mit Personen, welche keine Spielerfahrung hatten. Bei solchen Studien bleibt aber unklar, ob gewalttätige Videospiele tatsächlich für reduzierte Empathie verantwortlich sind oder ob es – umgekehrt – so ist, dass Personen mit geringer Empathie eher bereit sind, diese Spiele zu spielen. 

Um die Wirkung von Videospielgewalt klar zu isolieren, ist es notwendig, Menschen ohne Spielerfahrung solche Spiele spielen zu lassen und zu testen, wie sich ihr Verhalten ändert. Genau das war der Ansatz der Studie, die wir gemeinsam mit österreichischen und schwedischen Kolleg*innen durchgeführt haben (Lengersdorff et al., 2023). Dazu haben wir rund 90 junge Männer ohne Erfahrung mit gewalttätigen Videospielen rekrutiert. Über den Zeitraum von zwei Wochen musste jede Versuchsperson sieben Mal für eine Stunde ins Labor kommen, um das Spiel Grand Theft Auto V zu spielen. Ein besonderer Ansatz unserer Studie war der Einsatz von zwei verschiedenen Versionen des Spiels. Die eine Hälfte der Teilnehmer spielte eine extreme Gewalt beinhaltende Version, in welcher so viele andere Charaktere wie möglich „getötet“ werden sollten. Die andere Hälfte spielte eine Art „Fotosafari“ aus der jede Gewalt entfernt worden war. Die Aufgabe der Teilnehmenden war lediglich, so viele Fotos wie möglich von den anderen Charakteren zu machen. Beide Versionen waren vergleichbar hinsichtlich der Anzahl an Interaktionen mit anderen Charakteren sowie dem Explorationsverhalten im Spiel. Vor und nach dieser Videospiel-Phase testeten wir, wie die Versuchspersonen darauf reagierten, dass einer anderen Versuchsperson Schmerzreize verabreicht wurden (bei diesem anderen Teilnehmer handelte es sich allerdings um einen Schauspieler, welcher nie tatsächlich Schmerzreize erhielt). Dies ist ein etabliertes Paradigma zur Auslösung und Messung von Empathie (z.B. Rütgen et al., 2015). Zusätzlich haben wir mithilfe von Gehirnscans die Aktivität in jenen Gehirnregionen erfasst, welche typischerweise mit Empathie zusammenhängen. 

Schließlich fanden wir, dass die Videospielgewalt keinen Effekt auf die Empathie hatte. Es zeigten sich keinerlei Unterschiede zwischen den Personen, die zwei Wochen lang ein extreme  Gewalt beinhaltendes Spiel gespielt hatten, und jenen, die auf Fotosafari gewesen waren – und zwar weder in deren selbstberichteter Empathie noch in der damit in Verbindung stehenden Gehirnaktivität.

Können wir nun daraus schließen, dass die Aufregung rund um „Killerspiele“ grundlos ist? Das wäre ein voreiliger Schluss. Unsere Ergebnisse weisen lediglich darauf hin, dass sieben Stunden extreme Videospielgewalt nicht genügen, um psychisch gesunde junge Erwachsene „verrohen“ zu lassen. Damit erlauben sie eine realistische Perspektive auf die Effekte, die in Laborsituationen gefunden werden können. Es bleibt aber unklar, wie sich das Verhalten von Versuchspersonen nach hunderten oder tausenden Spielstunden verändern würde – Spielzeiten, die für leidenschaftliche Gamer nicht untypisch sind. Zudem wissen wir nach wie vor nicht, ob auch Kinder und Jugendliche „immun“ gegen Videospielgewalt sind. In jungen Jahren ist das Gehirn hoch plastisch und könnte daher stärker durch virtuelle Gewalt beeinflusst werden. Diese Frage lässt sich aber nur schwer experimentell untersuchen, ohne an die Grenzen der wissenschaftlichen Ethik zu stoßen. Bis auf weiteres wird Videospielgewalt also ein kontroverses Thema wissenschaftlicher und öffentlicher Diskussionen bleiben.

Literaturverzeichnis

Anderson, C. A., Shibuya, A., Ihori, N., Swing, E. L., Bushman, B. J., Sakamoto, A., Rothstein, H. R., & Saleem, M. (2010). Violent video game effects on aggression, empathy, and prosocial behavior in eastern and Western countries: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 136(2), 151. https://doi.org/10.1037/a0018251

Kühn, S., Kugler, D. T., Schmalen, K., Weichenberger, M., Witt, C., & Gallinat, J. (2019). Does playing violent video games cause aggression? A longitudinal intervention study. Molecular Psychiatry, 24(8), 1220-1234. https://doi.org/10.1038/s41380-018-0031-7

Lengersdorff, L. L., Wagner, I. C., Mittmann, G., Sastre-Yagüe, D., Lüttig, A., Olsson, A., Petrovic, P., & Lamm, C. (2023). Neuroimaging and behavioral evidence that violent video games exert no negative effect on human empathy for pain and emotional reactivity to violence. eLife, 12, e84951. https://doi.org/10.7554/eLife.84951

Rütgen, M., Seidel, E. M., Silani, G., Riečanský, I., Hummer, A., Windischberger, C., Petrovic, P., & Lamm, C. (2015). Placebo analgesia and its opioidergic regulation suggest that empathy for pain is grounded in self pain. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 112(41), E5638–E5646. https://doi.org/10.1073/pnas.1511269112

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