„Awww!“ – Wie Kama Muta soziale Gruppen einander wieder näherbringt
Arm und Reich, Ost und West, Links und Rechts – wir leben in Zeiten, in denen die Teilung und Polarisierung der Gesellschaft immer weiter voranschreitet. Globale Herausforderungen wie die COVID- Pandemie oder der Klimawandel erfordern jedoch mehr denn je die Kooperation über breite soziale Gruppen hinweg. Kama Muta, eine recht neu entdeckte soziale Emotion, könnte ersten Erkenntnissen zufolge dabei helfen, der gesellschaftlichen Polarisierung entgegenzuwirken und die Beziehung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten zu verbessern.
Ein wohlig-warmes Gefühl im Brustbereich, Tränen der Rührung in den Augen, ein gesteigertes Gefühl der Verbindung zu anderen Menschen – all das sind Erscheinungsformen der Emotion „Kama Muta“, die erst seit wenigen Jahren intensiver beforscht wird. Der Begriff stammt aus dem Sanskrit und bedeutet übersetzt so viel wie „gerührt“ und „bewegt“ zu sein. Die Emotion wird in verschiedenen Situationen in uns hervorgerufen, zum Beispiel dann, wenn wir selbstloses, gütiges Handeln beobachten, dem Wiedersehen von sich nahestehenden Personen nach einer langen Trennung beiwohnen oder das erste Mal ein Baby in den Armen halten. Nachdem wir Kama Muta erlebt haben, fühlen wir uns oft verbundener, glücklicher, und sind mitfühlender für andere Personen. Doch lässt sich Kama Muta auch nutzen, um die Gesellschaft positiv zu beeinflussen?
Wir tendieren dazu, Mitglieder der eigenen sozialen Gruppe (sogenannte „Ingroup“) positiver und weniger kritisch wahrzunehmen als Mitglieder anderer sozialer Gruppen (sogenannte „Outgroup“). Die Wahrnehmung einer Gruppenzugehörigkeit kann beispielsweise auf Nationalitäten, sozialen Schichten oder politischen Orientierungen beruhen. Personen der Outgroup werden dabei oftmals mit pauschalen Vorurteilen konfrontiert und insgesamt negativer wahrgenommen. Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die Wahlen in den USA im vergangenen Jahr, in denen zunehmend abwertende Äußerungen und Hass zwischen Republikanern und Demokraten beobachtet werden konnten. Laut einer aktuellen Studie von Finkel und KollegInnen (2020) ist der Hass gegenüber Wählenden der anderen Partei in den USA inzwischen sogar größer als die Zuneigung gegenüber Wählenden der eigenen Partei, was weiter zur Spaltung der politischen Lager beiträgt.
Forschende der Universität Oslo haben nun untersucht, ob Kama Muta dabei helfen kann, Personen aus anderen sozialen Gruppen wieder positiver und menschlicher wahrzunehmen und somit die gesellschaftliche Spaltung abzuschwächen. Blomster Lyshol und Kolleginnen (2020) erfassten dafür zuerst die Einstellung von Versuchspersonen zu verschiedenen Outgroups, z.B. Menschen anderer Nationalitäten oder sexueller Orientierung. Eine Woche später wurden die Teilnehmenden zu einem Experiment eingeladen. Ihnen wurden Videos präsentiert, in denen Personen aus der jeweiligen Outgroup ein Verhalten zeigen, das Kama Muta auslöst, z.B. ein emotionaler Heiratsantrag eines homosexuellen Paares oder ein tränenreiches Wiedersehen eines Inders und Pakistanis nach jahrelanger Trennung. Danach evaluierten die Forscherinnen, ob sich die Einstellung der Versuchspersonen gegenüber den ProtagonistInnen der Videos veränderte. Es zeigte sich - je mehr Kama Muta die Teilnehmenden verspürten, desto positiver und menschlicher nahmen sie die ProtagonistInnen der Videos wahr. Kama Muta wirkte sich aber nicht nur positiv auf die Wahrnehmung der Personen in den Videos, sondern auch auf die gesamte soziale Gruppe aus: Je mehr Kama Muta die ProbandInnen verspürten, desto menschlicher und positiver wurde die gesamte Outgroup der ProtagonistInnen wahrgenommen.
Kama Muta kann somit helfen, die Wahrnehmung von Mitgliedern anderer sozialer Gruppen positiv zu beeinflussen und damit auch die Gräben zwischen sozialen Gruppen zu verkleinern. Wenn Sie also das nächste Mal Vorurteile oder andere negative Gedanken gegenüber einer anderen Personengruppe an sich bemerken, versuchen Sie doch einmal, sich deren positive oder gütige Verhaltensweisen ins Gedächtnis zu rufen. Das mag sich wie nur eine kleine Geste anfühlen, kann aber insgesamt dazu beitragen, den großen Trend der gesellschaftlichen Polarisierung abzuschwächen und letztendlich umzukehren – und Gräben zu überwinden, die seit vielen Jahren unnötigerweise gegraben werden.
Wenn Sie einmal selbst Kama Muta erleben möchten, finden Sie auf der folgenden Webseite einige Videos, die diese Emotion hervorrufen: http://kamamutalab.org/about/experience-kama-muta/
Quellen:
Blomster Lyshol, J. K., Thomsen, L., & Seibt, B. (2020). Moved by observing the love of others: Kama Muta evoked through media fosters humanization of out-groups. Frontiers in Psychology, 11, 1240. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.01240
Finkel, E. J., Bail, C. A., Cikara, M., Ditto, P. H., Iyengar, S., Klar, S., Mason, L., McGrath, M. C., Nyhan, B., Rand, D. G., Skitka, L. J., Tucker, J. A., Bavel, J. J. V., Wang, C. S., & Druckman, J. N. (2020). Political sectarianism in America. Science, 370(6516), 533-536.
https://doi.org/10.1126/SCIENCE.ABE1715
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