Das Leben mit Corona – Wie sich Wohlbefinden, Einsamkeit und psychische Belastung in den ersten Monaten der Pandemie verändert haben
Im Frühjahr 2020 warnten GesundheitsexpertInnen vor möglichen psychischen Konsequenzen der Corona- Pandemie und den damit einhergehenden Einschränkungen. ExpertInnen klärten auf oder gaben Empfehlungen für einen guten Umgang mit der neuartigen Situation. Diese Hinweise und Empfehlungen wurden jedoch auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Zeit vor Corona abgeleitet. Wie genau sich Wohlbefinden, Einsamkeit und psychische Belastungssymptome tatsächlich in der Bevölkerung verändern würden, wusste man damals noch nicht. Was zeigen nun die ersten wissenschaftlichen Studien?
Einschränkungen des sozialen Lebens, häusliche Konflikte, aber auch wirtschaftliche und gesundheitliche Unsicherheiten legten den Schluss vieler GesundheitsexperInnen nahe, dass wir mit einer Verschlechterung unserer mentalen Gesundheit in Folge der Pandemie rechnen müssen. In diesem Beitrag beziehen wir uns mit dem Begriff mentale Gesundheit auf Wohlbefinden (z.B. Lebenszufriedenheit), Einsamkeit und psychische Belastungssymptome (z.B. Stress oder depressive Symptome). Inzwischen liegen erste Studienergebnisse dazu vor, wie sich die Corona- Pandemie tatsächlich auf unsere mentale Gesundheit ausgewirkt hat. In diesem Blogbeitrag stellen wir anhand exemplarischer Studien häufig berichtete Ergebnisse vor und beziehen uns dabei sowohl auf Peer-Review Artikel als auch auf sogenannte Preprints. Bei Preprints handelt es sich um veröffentlichte Studien, die im Gegensatz zu Peer-Review Artikel noch keinen Begutachtungsprozess durch FachexpertInnen durchlaufen haben. Dieser Prozess ist oft träge und kann einige Monate umfassen. Um die aktuelle Studienlage möglichst genau abzubilden, möchten wir diese Ergebnisse dennoch mit einbinden.
Es sei vorweggenommen – eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob und wie die Corona- Pandemie sich auf Wohlbefinden, Einsamkeit und psychische Belastungssymptome ausgewirkt haben, gibt es nicht. Studien haben häufig die mentale Gesundheit im Frühjahr 2020 mit der mentalen Gesundheit in vorherigen Jahren oder kurz vor der Einführung von Lockdown-Maßnahmen verglichen (Huckins et al., 2020). Manchmal wurden auch Veränderungen der mentalen Gesundheit innerhalb eines kurzen Zeitraums im Frühjahr betrachtet (Fried et al., 2020). Diese Studien können somit lediglich kurzzeitige Veränderungen zu einem Zeitpunkt abbilden, an dem die Corona-Fallzahlen weltweit erstmals anstiegen und erste Einschränkungen in Kraft traten. Häufig bestätigte sich der Eindruck, dass es uns insgesamt schlechter ging als vor der Corona- Pandemie (Zacher & Rudolph, 2020). Jedoch konnten manche Studien auch keine Veränderungen (Luchetti et al., 2020) oder sogar leichte Verbesserungen der mentalen Gesundheit beobachten (Fried et al., 2020). Insgesamt gibt es jedoch mehr Hinweise auf eine Verschlechterung unserer Verfassung im Verlauf der Pandemie, insbesondere was psychische Belastungssymptome betrifft.
Eine Aussage darüber, wie die Pandemie sich langfristig auf unsere mentale Gesundheit auswirkt, ist auf Grundlage dieser Studien aber noch nicht möglich. Studien mit einer längeren Befragungsdauer oder häufigeren Befragungen derselben Personen innerhalb eines bestimmten Zeitraums ermöglichen ein differenzierteres Bild: Nach einer anfänglichen Verschlechterung verbesserte sich die mentale Gesundheit nach einigen Wochen schließlich wieder (Buecker et al., 2020). Zum Beispiel schwankte die mentale Gesundheit in China gemeinsam mit der Pandemieentwicklung, so dass am Höhepunkt der Covid-19 Infektionen das Wohlbefinden der StudienteilnehmerInnen einen Tiefpunkt erreichte (Wang et al., 2020). Auch das Hedonometer, eine Darstellung des Glücksempfindens von Twitter-NutzerInnen, zeigte einen solchen Verlauf auf. Hier beobachtete man zeitgleich zur Verbreitung des Virus einen rapiden Abfall des durchschnittlichen Glücks, das im März einen Tiefpunkt erreichte, gefolgt von einer kontinuierlichen Erholung. Das Hedonometer zeigte aber auch, dass trotz dieses Verlaufs die Glückswerte für 2020 insgesamt leicht unterhalb der Werte aus vorherigen Jahren bleiben (was natürlich nicht nur an Covid-19 liegen muss).
Allerdings waren nicht alle Menschen gleichermaßen beeinträchtigt. Es zeigten sich schwerwiegendere psychische Belastungssymptome in Ländern, die stärker von Covid-19 betroffen waren und bei einem geringeren Vertrauen in die Politik im Umgang mit dem Virus (Kowal et al., 2020; van Mulukom et al., 2020). Auch zwischen Personen gibt es Unterschiede darin, wie sehr sie betroffen waren. Weniger resiliente und psychisch vorbelastete Personen waren stärker beeinträchtigt, ebenso Frauen, Arbeitslose und Personen mit einer schlechteren wirtschaftlichen Situation (Pieh et al., 2020; Prinzing et al., 2020; Zimmermann et al., 2020). Jüngere Personen (z.B. unter 35 Jahre) berichteten von mehr negativen psychischen Konsequenzen als ältere Personen (z.B. über 60 Jahre) (Pieh et al., 2020). Jedoch waren ältere Personen zwar im Durchschnitt weniger einsam als jüngere Personen, aber nur in dieser Altersgruppe konnte im Frühjahr in der akuten Phase der Pandemie ein Anstieg von Einsamkeit beobachtet werden (Buecker et al., 2020; Luchetti et al., 2020).
Wenig überraschend beeinflussten auch soziale Lebensverhältnisse unsere mentale Gesundheit in den ersten Monaten der Pandemie. Verheiratete Personen, Personen in einer festen Partnerschaft und Personen, die nicht alleine leben, berichteten im Durchschnitt von einer besseren mentalen Gesundheit als alleinstehende und alleinlebende Personen (Buecker et al., 2020; Kowal et al., 2020). Jedoch gab es keine Unterschiede zwischen diesen Gruppen darin, wie sehr Einsamkeit über die akute Phase der Pandemie hinweg anstieg (Buecker et al., 2020). Personen mit Kindern waren stärker belastet und fühlen sich über die Zeit zunehmend einsamer (Buecker et al., 2020; Kowal et al., 2020). Insbesondere das Homeschooling wurde von Eltern als eine Beeinträchtigung für ihr Wohlbefinden bewertet, nicht jedoch die grundsätzliche Betreuung von Kindern (Lades et al., 2020).
Häufig im Frühjahr empfohlene Aktivitäten um den Alltag zu gestalten machten auch in Zeiten von Corona einen Unterschied für unsere mentale Gesundheit (Lades et al., 2020; Planchuelo-Gómez et al., 2020): Zeit draußen zu verbringen oder körperlich aktiv zu sein wirkte sich positiv auf das Wohlbefinden aus. Medienkonsum, insbesondere der ständige Konsum von Neuigkeiten über COVID-19, beeinträchtigten die mentale Gesundheit hingegen. Auch das Ausüben von Hobbies und die Aufnahme von Aktivitäten, die in einen Flow zustand versetzten (z.B. herausfordernde körperliche oder geistige Aktivitäten), gingen mit einer geringeren Beeinträchtigung unseres Wohlbefindens in Folge von Lockdown und Quarantäne einher (Lades et al., 2020; Sweeny et al., 2020).
Dieser Überblick verdeutlich, dass es uns in den ersten Wochen der Corona- Pandemie tendenziell schlechter ging als zuvor. Jedoch zeigt sich auch, dass wir uns nach einer kurzfristigen Verschlechterung unserer mentalen Gesundheit schließlich wieder erholten. Dies könnte eine Reaktion sein auf Lockerungen von Maßnahmen, auf einen vorrübergehenden Rückgang von Corona-Fällen oder auch auf die Fähigkeit des Menschen, sich schnell an neue Situationen anzupassen. Wie sich der erneute Anstieg von Corona-Fällen und die damit einhergehenden Einschränkungen und Unsicherheiten auf unsere mentale Gesundheit auswirken, werden erst zukünftige Studienergebnisse zeigen. Vielleicht helfen uns unser neu erworbenes Wissen über die Pandemie und ihre Folgen und die Erfahrungen aus dem Frühjahr ein wenig. Festzuhalten ist jedoch, dass manche Personengruppen (z. B. Eltern) besonders belastet sind und unterstützt werden sollten und dass wir durch eine bewusste Alltagsgestaltung unsere mentale Gesundheit zumindest ein Stück weit beeinflussen können.
Quellen
Buecker, S., Horstmann, K. T., Krasko, J., Kritzler, S., Terwiel, S., Kaiser, T., & Luhmann, M. (2020). Changes in daily loneliness during the first four weeks of the Covid-19 lockdown in Germany. Social Science & Medicine. https://doi.org/10.31234/osf.io/ytkx9
Fried, E. I., Papanikolaou, F., & Epskamp, S. (2020). Mental Health and Social Contact During the COVID-19 Pandemic: An Ecological Momentary Assessment Study. PsyArXiv. https://doi.org/10.31234/osf.io/36xkp
Huckins, J. F., da Silva, A. W., Wang, W., Hedlund, E., Rogers, C., Nepal, S. K., Wu, J., Obuchi, M., Murphy, E. I., Meyer, M. L., Wagner, D. D., Holtzheimer, P. E., & Campbell, A. T. (2020). Mental health and behavior of college students during the early phases of the COVID-19 pandemic: Longitudinal smartphone and ecological momentary assessment study. Journal of Medical Internet Research, 22(6). https://doi.org/10.2196/20185
Kowal, M., Coll-Martín, T., Ikizer, G., Rasmussen, J., Eichel, K., Studzińska, A., Koszałkowska, K., Karwowski, M., Najmussaqib, A., Pankowski, D., Lieberoth, A., & Ahmed, O. (2020). Who is the most stressed during the COVID-19 pandemic? Data from 26 countries and areas. Applied Psychology: Health and Well-Being. https://doi.org/10.1111/aphw.12234
Lades, L. K., Laffan, K., Daly, M., & Delaney, L. (2020). Daily emotional well-being during the COVID-19 pandemic. British Journal of Health Psychology, 25, 902–911. https://doi.org/10.1111/bjhp.12450
Luchetti, M., Lee, J. H., Aschwanden, D., Sesker, A., Strickhouser, J. E., Terracciano, A., & Sutin, A. R. (2020). The trajectory of loneliness in response to COVID-19. American Psychologist, 75(7), 897–908. https://doi.org/10.1037/amp0000690
Pieh, C., Budimir, S., & Probst, T. (2020). The effect of age, gender, income, work, and physical activity on mental health during coronavirus disease ( COVID-19) lockdown in Austria. Journal of Psychosomatic Research, 136. https://doi.org/10.1016/j.jpsychores.2020.110186
Planchuelo-Gómez, Á., Odriozola-González, P., Irurtia, M. J., & de Luis-García, R. (2020). Longitudinal evaluation of the psychological impact of the COVID-19 crisis in Spain. Journal of Affective Disorders, 277, 842–849. https://doi.org/10.1016/j.jad.2020.09.018
Prinzing, M. M., Zhou, J., West, T. N., Le Nguyen, K. D., Wells, J. C., & Fredrickson, B. L. (2020). Staying ‘In Sync’ with others during COVID-19: Positivity resonance mediates cross-sectional and longitudinal links between trait resilience and mental health. PsyArXiv. https://doi.org/10.31234/osf.io/z934e
Sweeny, K., Rankin, K., Cheng, X., Hou, L., Long, F., Meng, Y., Azer, L., Zhou, R., & Zhang, W. (2020). Flow in the time of COVID-19: Findings from China. PsyArXiv. https://doi.org/10.31234/osf.io/e3kcw
van Mulukom, V., Muzzulini, B., Rutjens, B. T., Van Lissa, C. J., & Farias, M. (2020). The psychological impact of threat & lockdown during the COVID-19 pandemic: Exacerbating factors and mitigating actions. PsyArXiv. https://doi.org/10.31234/osf.io/c8weq
Wang, Z., Luo, S., Xu, J., Wang, Y., Yun, H., Zhao, Z., Zhan, H., & Wang, Y. (2020). Well-being and COVID-19 anxiety: A three-wave longitudinal study in China. PsyArXiv. https://doi.org/10.31234/osf.io/8h3v5
Zacher, H., & Rudolph, C. W. (2020). Individual differences and changes in subjective wellbeing during the early stages of the COVID-19 pandemic. American Psychologist. https://doi.org/10.1037/amp0000702
Zimmermann, M., Bledsoe, C., & Papa, A. (2020). The impact of the COVID-19 pandemic on college student mental health: A longitudinal examination of risk and protective factors. PsyArXiv. https://doi.org/10.31234/osf.io/2y7hu
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