Das Mikrobiom ist in aller Munde – und eben in jedermanns Darm
„Mein Bauchgefühl sagt mir, dass…“, „Entscheide einfach spontan aus dem Bauch heraus!“, „Diese Entscheidung verursacht bei mir Bauchschmerzen…“ - Obwohl sie in unserem Vokabular längst fest verankert sind, ist Forschung rund um das Thema „Bauchentscheidungen“ vergleichsweise jung. Innerhalb der letzten Dekade haben sich WissenschaftlerInnen vermehrt darum bemüht, die Vermutung, dass es eine Verbindung zwischen unserem Darm und dem Gehirn gibt, empirisch zu belegen.
Das Mikrobiom ist der Sammelbegriff für Billionen von Mikroorganismen, die in und auf uns leben. Zu finden sind unsere mikrobiellen Mitbewohner in unterschiedlicher Zusammensetzung auf unserer Haut, den Atemwegen, dem urogenitalen Trakt, den Augen und in der Mehrzahl im Darm. Die höchst individuelle Zusammensetzung unseres Darm-Mikrobioms sowie seine empfindliche Veränderbarkeit haben jedoch nicht nur Einfluss auf Verdauungsfunktionen oder das Sättigungsgefühl. Aufgrund der Kommunikation vom Gehirn zum Darm und vom Darm zum Gehirn (bezeichnet als (microbiota-) gut-brain axis) nimmt sie – wie neueste Forschung zeigt – auch Einfluss auf kognitive und psychologische Funktionen. Neben Zusammenhängen mit neurodegenerativen oder psychischen Erkrankungen wie Autismus, Schizophrenie, Angststörungen oder Alzheimer bestehen auch Zusammenhänge zu alltäglichem Essverhalten oder allgemeinen, kognitiven Funktionen. Betroffen ist also jede(r) von uns. Doch inwiefern genau – und was ist dran an den sogenannten „Bauchentscheidungen“?
Bezüglich des Essverhaltens scheinen bestimmte durch Darmbakterien (z.B. E. coli) produzierte Proteinsequenzen zu reduzierter Nahrungsaufnahme und damit geringerem Körpergewicht zu führen (beobachtet bspw. in PatientInnen mit Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating-Störung). Darüber hinaus scheint das Darm-Mikrobiom die Geschmacksfähigkeit bzw. Geschmackswahrnehmung zu beeinflussen. So wurde bei Personen mit Übergewicht eine reduzierte Sensibilität auf fettige oder süße Geschmäcker beobachtet, sodass diese größere Mengen an Nahrung konsumieren müssen, um den gleichen Geschmack zu erhalten.
Der Einfluss von Darmbakterien auf kognitive Leistungen wurde bislang hauptsächlich an Nagern untersucht, jedoch liefern auch Humanstudien mit zum Teil noch kleinen Stichproben bereits interessante und vielversprechende Ergebnisse. Fernandez-Real und Kollegen (2015) zeigten zum Beispiel, dass die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms bei übergewichtigen gegenüber nicht-übergewichtigen ProbandInnen in Zusammenhang mit Testwerten in Schnelligkeit, Aufmerksamkeit und kognitiver Flexibilität im Trail Making Test standen. Auch bei 1-jährigen Säuglingen zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Darmbakterien und der kognitiven Entwicklung sowie deren Hirngröße. Am besten entwickelt war die Gruppe der Säuglinge mit einer höheren Menge an Bacteroides, Stäbchenbakterien, die zur Normalflora der Darmschleimhaut gehören. Als besonders vorteilhaft für kognitive Funktionen hat sich die Medikation mit Präbiotika in sowohl gesunden als auch erkrankten Individuen erwiesen. So zeigen Studien, dass die Gabe von bspw. der Gattung Lactobacillus Leistungen in den Bereichen der emotionalen Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der impulsiven Entscheidungsfindung verbessert.
Die Forschung über den Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Mikrobioms und kognitiver Leistung steht noch in seinen Kinderschuhen. Doch gerade Gegenstudien, die Defizite in Leistung und Sozialverhalten durch eine verminderte Darmtätigkeit aufgrund von Antibiotikaeinnahme, Diabetes oder Immundefiziten demonstrieren, geben Anlass, die sog. Bauchentscheidungen weiter zu erforschen.
Eine Mikrobiomanalyse kann sich übrigens jeder auf Anfrage bei einer ärztlichen Fachkraft (z.B. ProktologIn) anfertigen lassen. Diese kann dann eine Medikation mit Präbiotika verschreiben, doch auch eine sehr variable Ernährung kann die Zusammensetzung des Mikrobioms bereits positiv beeinflussen. Der Gang zu Arzt oder Ärztin ist also eventuell eine Überlegung wert. Entscheiden Sie doch aus dem Bauch heraus!
Alle Informationen dieses Überblicksartikels sind der Veröffentlichung von Cryan et al. (2019) zu entnehmen.
Quellen:
Cryan, J.F., O’Riordan, K.J., Cowan, C.S.M., Sandhu, K.V., Bastiaanssen, T.F.S., et al. (2019). The Microbiota-Gut-Brain-Axis. Physiological Review, 99, 1877–2013. doi:10.1152/physrev.00018.2018
Fernandez-Real, J.-M., Serino, M., Blasco, G., Puig, J., Daunis-i-Estadella, J., Ricart, W., … Portero-Otin, M. (2015). Gut Microbiota Interacts With Brain Microstructure and Function. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 100(12), 4505–4513.
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