„Die Spinner haben doch nicht alle Tassen im Schrank!“ Warum Politik uns trennt und wie wir wieder ins Gespräch kommen

Politik spaltet Menschen in Gruppen – in „uns“ versus „die anderen“. Nicht zuletzt wurde dies deutlich bei der Bundestagswahl 2025, als CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz verkündete, er mache Politik für den Bevölkerungsteil, der „alle Tassen im Schrank hat und nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner“. Auch der Brexit hat die Menschen im Vereinigten Königreich in Remainers und Leavers gespalten. Eine Langzeitinterventionsstudie untersuchte, ob diese Feindseligkeit reduziert werden kann.

Die Spaltung zwischen denjenigen, die 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt haben („Leavers“), und denen, die bleiben wollten („Remainers“), prägt die Gesellschaft im Vereinigten Königreich bis heute. Während der viereinhalb-jährigen Übergangsphase des Brexits und darüber hinaus entstand ein anhaltendes Klima der Feindseligkeit – ein Phänomen, das Wissenschaftler:innen als „affektive Polarisierung“ bezeichnen. Ähnliche Polarisierungen finden wir auch in anderen Ländern, etwa in den USA zwischen Anhänger:innen der Demokratischen und der Republikanischen Parteien. Auch in Deutschland nimmt die Mehrheit der Bevölkerung (73%) die Gesellschaft als politisch gespalten wahr. Insbesondere Themen wie Migration, die AfD, Israel, Russland, Bürgergeld geschlechtergerechte Sprache und Klimaschutz sorgen laut Umfrage für Polarisierung (Institut für Demoskopie Allensbach, 2023).

Affektive Polarisierung bedeutet mehr als nur eine Meinungsverschiedenheit. Sie tritt auf, wenn sich Menschen, wie Anhänger:innen politischer Gruppen, nicht nur in Sachfragen uneinig sind, sondern auch zunehmend Abneigung gegenüber den Menschen der anderen Seite empfinden. Die Folgen dieser Spaltung sind erheblich: Sie reichen von zerbrochenen Freundschaften und mangelnder Kompromissbereitschaft bis hin zur wachsenden Unterstützung für politische Gewalt (Hobolt et al., 2021).

Eine neue Langzeitstudie zu Brexit (Tausch et al., 2024) hat untersucht, ob eine gezielte Intervention die Feindseligkeit zwischen Remainers und Leavers verringern kann. Dafür wurden die Teilnehmenden in Zweiergruppen eingeteilt – jeweils ein Remainer und ein Leaver – und per Zufall einer von zwei Bedingungen zugeordnet: einer Interventionsgruppe mit Fokus auf den Brexit oder einer Kontrollgruppe mit dem Fokus auf die Zukunft der britischen Königsfamilie. Dann trafen die Zweiergruppen in einem virtuellen Gespräch zusammen. Die Forschenden erfassten verschiedene Aspekte der affektiven Polarisierung in einem Fragebogen einen Monat vor, direkt danach und einen Monat nach der Interaktion.

Die Brexit- Intervention baute auf einer bekannten psychologischen Theorie auf: der Intergruppen-Kontakttheorie. Diese sagt, dass Vorurteile abnehmen können, wenn Menschen aus verschiedenen Gruppen positiven Kontakt miteinander haben (Paolini et al., 2021). Außerdem folgte sie dem Prinzip des respektvollen Dialogs: Es geht nicht darum, recht zu haben oder zu überzeugen, sondern darum, einander zuzuhören, die Sichtweise der anderen Person anzuerkennen und voneinander zu lernen (Nagda, 2006). Die Brexit- Intervention umfasste drei Phasen:

  1. Persönlicher Kontakt („Fast Friends“): Zuerst beantworteten die Teilnehmenden persönliche, unpolitische Fragen, um Ängste abzubauen und eine persönliche Verbindung herzustellen.
  2. Brexit-Dialog: Dann führten die Teilnehmenden einen strukturierten Dialog über den Brexit (vs. die Königsfamilie), nach Prinzipien einer respektvollen Kommunikation. Hier wurde deutlich, zu welcher Gruppe sie gehören (Remainer oder Leaver), um positive Gefühle vom Gegenüber auf die gesamte Gegengruppe zu generalisieren.
  3. Gemeinsames Ziel: Abschließend arbeiteten die Teilnehmenden gemeinsam an einer Aufgabe (Schutz der Gesundheit während der Pandemie), um ein Gefühl gemeinsamer Identität und ein stärkeres Wir- Gefühl, zu fördern.

Die Brexit-Interventionsgruppe wurde mit der Kontrollgruppe verglichen, die auch alle drei Phasen durchlief, in Phase 2 aber ein anderes kontroverses Thema (die Zukunft der britischen Königsfamilie) diskutierte. Die Kontrollgruppe wusste nicht, wie die andere Person zum Brexit steht. So konnte man gut testen, ob Effekte der Intervention klar dem Kontakt zwischen den Brexit-Gruppen zugeordnet werden können und nicht einfach einer positiven Unterhaltung über ein kontroverses Thema per se.

Die Ergebnisse waren vielversprechend, jedoch begrenzt. Teilnehmende der Brexit- Intervention empfanden die oppositionelle Gruppe als wärmer, waren kompromissbereiter und neigten weniger dazu, die Meinungen der Gruppe als irrational oder emotional abzuwerten. Allerdings hielten diese positiven Effekte nicht an. Eine Nachbefragung einen Monat später zeigte, dass die anfänglichen Verbesserungen der affektiven Polarisierung verflogen waren.

Aus der Studie ergaben sich zwei zentrale Herausforderungen: 1) Es gab keine nachhaltigen Effekte. Die positiven Effekte klangen mit der Zeit ab. Nachhaltige Veränderungen erfordern fortlaufendes Engagement und wiederholte Interaktionen statt nur ein einmaliges Gespräch. 2) Die am stärksten polarisierten Personen waren schwierig zu erreichen: Menschen mit den extremsten negativen Einstellungen gegenüber der anderen Gruppe waren weniger bereit, an der Intervention teilzunehmen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass gerade diejenigen, die am meisten von solchen Gesprächen profitieren könnten, oft am wenigsten dazu bereit, sich auf solche Gespräche und andere Vorurteilsinterventionen einzulassen (Iyengar et al., 2019; Tausch et al., 2024).

Affektive Polarisierung ist nicht nur ein zwischenmenschliches Problem – sie bedroht demokratische Prozesse. Wenn politische Gegner als Feinde wahrgenommen werden, werden Zusammenarbeit und Kompromisse schwieriger, was die Grundlagen der Demokratie schwächt (Ivengar et al., 2019). Die Studie liefert wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Bemühungen zur Verringerung der Polarisierung. Neue Denkansätze sind notwendig, um auch die am stärksten polarisierten Menschen für einen Dialog zu gewinnen. Trotz dieser Herausforderungen bietet die Studie eine hoffnungsvolle Botschaft: Menschen sind bereit, sich auszutauschen, ihre Perspektiven zu teilen und mit mehr Verständnis auseinanderzugehen – selbst, wenn dies nur vorübergehend geschieht. Dies zeigt, dass Dialog Brücken bauen kann.

Literaturverzeichnis

Hobolt, S. B., Leeper, T. J., & Tilley, J. (2021). Divided by the vote: Affective polarization in the wake of the Brexit referendum. British Journal of Political Science, 51(4), 1476-1493. https://doi.org/10.1017/S0007123420000125

Institut für Demoskopie Allensbach. (2023). Wie gespalten ist die Gesellschaft? Allensbacher Berichte Nr. 7/2023. https://www.mvfp.de/fileadmin/vdz/upload/events/medienkongress/2024/2024...

Iyengar, S., Lelkes, Y., Levendusky, M., Malhotra, N., & Westwood, S. J. (2019). The origins and consequences of affective polarization in the United States. Annual Review of Political Science, 22, 129–146. https://doi.org/10.1146/annurev-polisci-051117-073034

Nagda, B. R. A. (2006). Breaking barriers, crossing borders, building bridges: Communication processes in intergroup dialogues. Journal of Social Issues, 62(3), 553-576. https://doi.org/10.1111/j.1540-4560.2006.00473.x

Paolini, S., White, F. A., Tropp, L. R., Turner, R. N., Page‐Gould, E., Barlow, F. K., & Gómez, Á. (2021). Intergroup contact research in the 21st century: Lessons learned and forward progress if we remain open. Journal of Social Issues, 77(1), 11-37. https://doi.org/10.1111/josi.12427

Tausch, N., Birtel, M. D., Górska, P., Bode, S., & Rocha, C. (2024). A post-Brexit intergroup contact intervention reduces affective polarization between Leavers and Remainers short-term. Communications Psychology, 2(1), 95. https://doi.org/10.1038/s44271-024-00146-w

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