Früher war alles besser?

Glauben auch Sie, wie die meisten amerikanischen Erwachsenen, dass Kinder heutzutage weniger Selbstkontrolle haben als unsere Generation oder die unserer Eltern? Eine große Studie legt nahe, dass wir uns da verschätzen: Kinder der 2000er können länger auf Süßigkeiten warten als Kinder der 60er und 80er Jahre.

dountsKontrolle über die eigenen Wünsche und Gelüste zu haben ist enorm wichtig. Soll ich Computer spielen oder für die Mathearbeit üben? Soll ich noch Runden am Sportplatz laufen oder mit meinen Freunden rumhängen? Soll ich den Schokokuchen essen oder lieber erst den Salat, und nur ein Stück vom Schokokuchen als Nachtisch? Selbstkontrolle wird verstanden als die Fähigkeit, Versuchungen zu widerstehen und unmittelbares Vergnügen aufzuschieben. Die Forschung hat gezeigt, dass diese Fähigkeit langfristig wichtig ist für Gesundheit. Tatsächlich eignet sich diese Fähigkeit am besten, wenn man Gesundheit, Schulabschlüsse, Beziehungsstand und finanziellen Status schon in der Kindheit vorhersagen möchte.

Diese Fähigkeit ist also zentral für Erfolg in vielen Bereichen, und es scheint wünschenswert, dass unsere Kinder ihre Selbstkontrolle entwickeln. Angesichts unzähliger Verlockungen wie Spielzeuge, Computerspiele und Süßigkeiten und gleichzeitig weniger strenger Erziehungsstile könnte man vermuten, dass Kinder heutzutage größere Schwierigkeiten haben, auf eine Belohnung zu warten. Dies ergab auch eine Umfrage unter amerikanischen Erwachsenen, die Großteils annahmen, vor 50 Jahren hätten Kinder besser warten können.

Eine einzigartige Studie vergleicht nun die Selbstkontrolle von Kindergartenkindern der 60er, 80er und 2000er und zeigt, dass diese Vorhersage falsch ist. Es handelt sich um die berühmte Marshmallow-Task: Ein Marshmallow wird vor ein Kind im Kindergartenalter gestellt. Das Kind erhält die Information, wenn es mit dem Essen wartet, bis der Versuchsleiter zurückkommt, erhalte es noch ein zweites Marshmallow. Gemessen wird die Wartezeit der Kinder, bis sie der Versuchung nicht mehr widerstehen können und den Marshmallow aufessen. Diese Wartezeit stieg seit den 60ern gradlinig an: Kinder der 60er warteten im Schnitt 5 Minuten, Kinder der 80er 6 Minuten, und Kinder der 2000er 7 Minuten. Dies stellt eine deutliche Verbesserung dar, die Anlass zur Vermutung gibt, dass auch die generelle Selbstkontrolle über die Generationen hinweg angestiegen ist. Der Effekt wurde insbesondere durch diejenigen Kinder ausgelöst, für die das Warten besonders schwer war, nämlich jüngere Kinder und Jungs.

Was hilft den Kindern, immer länger auf Süßigkeiten zu warten? Ein Zyniker könnte sagen, die Kinder heutzutage seien übersättigt – doch andere Studien zeigen, dass Süßigkeiten Kinder nach wie vor magisch anziehen. Tatsächlich aber spielt Selbstkontrolle heutzutage in pädagogischen Programmen und sogar Unterhaltungsprogrammen (zum Beispiel Sesamstraße) eine größere Rolle als früher. Außerdem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass auch die generelle kognitive Leistungsfähigkeit über Jahrzehnte hinweg ansteigt, was sich auch auf eine verbesserte Selbstkontrolle auswirken könnte.

Entscheidend aber für die Diskrepanz zwischen unserer Alltagswahrnehmung und experimentell gemessener Selbstkontrolle ist vermutlich eine einfache Feststellung: Eine Fähigkeit zu besitzen bedeutet nicht unbedingt, diese auch anzuwenden. Nur weil ein Kind in der Lage ist, auf klare Anweisung hin abzuwarten, heißt das nicht, dass es das auch freiwillig tut, wenn Computerspiele, Süßigkeiten und Fernsehen frei zur Verfügung stehen. Es geht also nach wie vor darum, angemessene Regeln zu setzen – nur so werden Kinder angeregt, ihre Fähigkeiten zur Selbstkontrolle auch zielführend einzusetzen und auf diesem Wege weiterzuentwickeln. Durch schrittweises Einüben der Selbstkontrolle legen wir das also ein wichtiges Fundament für die erfolgreiche Zukunft unserer Kinder.

 

Quellen:

Carlson, S.M., et al. (2018). Cohort Effects in Children’s Delay of Gratification. Developmental Psychology,  54(8), 1395–1407, doi: 10.1037/dev0000533.

Moffitt, T.E., et al. (2011). A gradient of childhood self-control predicts health, wealth, and public safet. PNAS, 108(7), 2693–2698, doi/10.1073/pnas.1010076108.

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