Max und Murat schreiben das gleiche Diktat. Bekommen Sie auch die gleiche Note?
Ein faires Notensystem zeichnet sich dadurch aus, dass zwei Kinder bei gleicher Leistung auch die gleiche Note bekommen. Neue Forschung zeigt nun, dass diese Leistungsgerechtigkeit - gerade für Kinder mit Migrationshintergrund - nicht immer gilt.
Ein wesentlicher Anspruch unseres Bildungssystems ist es, dass jedes Kind fair auf Basis seiner Leistung beurteilt wird. Nun ist bekannt, dass gerade in Deutschland Kinder mit Migrationshintergrund schlechtere fachliche Kompetenzen erzielen ( OECD, 2014) und auch weniger wahrscheinlich auf das Gymnasium wechseln als Kinder ohne Migrationshintergrund (Kirsten & Granato, 2007). Hier scheint sich ein bestehender Kompetenzunterschied also in schlechteren Noten und ultimativ in einem Wechsel zur angemessenen Schulform zu spiegeln. Das klingt erst einmal gerecht.
Neuere Forschung zeigt jedoch, dass die Realität weit komplexer ist. So erhalten Kinder mit Migrationshintergrund im Gymnasium selbst dann schlechtere Zeugnisnoten in Mathematik, wenn sie über ein ähnliches sprachliches Niveau, eine vergleichbare soziale Herkunft und gleich hohe mathematische Kompetenz verfügen wie Kinder ohne Migrationshintergrund (Bonefeld, Dickhäuser, Janke, Praetorius & Dresel, 2017). Es liegt dementsprechend nahe, anzunehmen, dass in Vorurteilen begründete Urteilstendenzen die Benotung der Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund beeinflussen.
Diesen Verdacht erhärtet eine weitere aktuelle experimentelle Studie (Bonefeld & Dickhäuser, 2018), in der Lehramtsstudierende das Diktat eines Schülers auf Fehler überprüfen und bewerten sollten. Ein Teil der Studienteilnehmenden erhielt ein Diktat, welches angeblich von einem Schüler namens Max stammte, während der andere Teil ein Diktat von Murat erhielt. Die Fehlerzahl in beiden Diktaten war identisch und den Teilnehmenden gelang es in beiden Fällen gut, die Fehler zu identifizieren. Allerdings erhielt Murat für die gleiche Leistung im Schnitt eine schlechtere Note. Bei guter Leistung im Diktat wurde Max im Schnitt mit einer 1,87 und Murat mit einer 2,03 beurteilt. Bei einem schlechten Diktat war der Unterschied noch ausgeprägter. Max wurde hier im Schnitt mit einer 3,64 benotet, während Murat eine 4,05 erhielt.
Die Ergebnisse beider Studien deuten an, dass die angestrebte Leistungsgerechtigkeit im Hinblick der Bewertung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund noch nicht erreicht wurde. Die gute Nachricht ist allerdings, dass Lehrkräfte etwas dagegen tun können. So können beispielsweise im Vorhinein verschriftlichte Kriterien zur Zuordnung von Leistung zu Noten (z. B. Fehlertabellen) helfen, eine gerechtere Notenvergabepraxis zu erreichen.
Quellen
Bonefeld, M., Dickhäuser, O. (2018). (Biased) Grading of Students' Performance: Students' Names, Performance Level, and Implicit Attitudes. Frontiers in Psychology, 9.
Bonefeld, M., Dickhäuser, O., Janke, S., Praetorius, A.K. & Dresel, M. (2017). Migrationsbedingte Disparitäten in der Notenvergabe nach dem Übergang auf das Gymnasium. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 49, 11-21.
Kristen, C., and Granato, N. (2007). The educational attainment of the second generation in Germany: social origins and ethnic inequality. Ethnicities 7, 343–366.
OECD (2014). PISA 2012 Ergebnisse: Exzellenz durch Chancengerechtigkeit (Band II): Allen Schülerinnen und Schülern die Voraussetzungen zum Erfolg sichern. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag.
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