Mehr Social Media, weniger Wissen?
Die Krisen der letzten Jahre haben wir zumeist über unser Handy erlebt. Viele Menschen neigen bei globalen Krisen zu einem erhöhten Medienkonsum. Aber macht uns das endlose Scrollen durch soziale Medien wirklich schlauer oder fühlen wir uns nur so?
Krisen führen zu einem Gefühl der Unsicherheit. Das trifft sowohl auf große, weltweite, aber auch auf kleine, persönliche Krisen zu. Wir wissen nicht mehr, ob aktuelle Regeln auch in der Zukunft gelten werden und was sich nun ändern wird. Diese Unsicherheit nehmen wir als unangenehm wahr. Das wiederum führt zu einer gesteigerten Informationssuche, um mehr Vorhersagbarkeit schaffen zu können. Wir möchten mehr Informationen über die Welt sammeln, um die wahrgenommene Unvorhersagbarkeit und damit die Bedrohlichkeit der Situation zu reduzieren (Granderath et al., 2021).
Nicht alle reagieren jedoch auf die gleiche Art und Weise auf Krisen, denn erst die Gefahreneinschätzung beeinflusst den Medienkonsum. Ein Forschungsteam aus Bonn befragte im Zeitraum des ersten Corona-Lockdowns im April 2020 verschiedene Menschen zu ihrem Medienkonsum. Die Gruppe fand heraus, dass Menschen, die die Situation als bedrohlicher empfanden, zu mehr Mediennutzung neigten. Es war also weniger die Krise an sich, die im Zusammenhang mit einem erhöhten Medienkonsum stand, als die Einschätzung ebendieser (Granderath et al., 2021). Löst eine akute Krise wie beispielsweise die Corona- Pandemie oder der Ukraine-Krieg in einer Person mehr Angst aus, wendet diese sich zumeist stärker den (sozialen) Medien zu als eine Person, die weniger Angst empfindet.
Ist diese Bewältigungsstrategie aber erfolgreich? Die Frage lässt sich aus zwei Blickwinkeln beantworten: zum einen durch den Fokus auf das tatsächliche, zum anderen mit Blick auf das gefühlte Wissen. Obwohl viele Menschen sich auf der Suche nach mehr Informationen vor allem den sozialen Medien zuwenden, lassen Studien vermuten, dass sie hierbei häufig nicht erfolgreich sind. Anders als erhofft, hilft viel hier nicht viel. Ein erhöhter Medienkonsum führt nicht unbedingt zu mehr Wissen (Lee et al., 2021). Vielmehr wussten Personen, die mehr soziale Medien nutzten, weniger über Corona als Personen, die diese weniger konsumierten (Granderath et al., 2021). Ein möglicher Grund hierfür sind die häufig kurzen und oberflächlichen Berichterstattungen auf sozialen Medien (Schäfer, 2020).
Dieser fehlende Wissenszuwachs steht jedoch im Kontrast zu unserem gefühlten Wissen. Verbringen wir viel Zeit auf sozialen Medien, haben wir das Gefühl, mehr zu wissen. Durch die andauernde Wiederholung des gleichen Themas entsteht ein Gefühl der Vertrautheit und des wahrgenommenen Wissens. Dieser Prozess tritt verstärkt nach dem Konsum von sozialen Medien auf, ist jedoch auch nach Fernsehen oder Zeitunglesen zu beobachten (Lee et al., 2021; Schäfer, 2020). Einen Ausweg bieten hierbei z. B. (Online-)Nachrichten. Diese geben uns nämlich - anders als soziale Medien - nicht nur das Gefühl, informierter zu sein, sondern informieren uns auch tatsächlich (Granderath et al., 2021).
Quellen:
Granderath, J. S., Sondermann, C., Martin, A., & Merkt, M. (2021). Actual and perceived knowledge about COVID-19: The role of information behavior in media. Frontiers in Psychology, 12, 5648. doi: 10.3389/fpsyg.2021.778886
Lee, S., Yamamoto, M., & Tandoc, E. C. (2021). Why people who know less think they know about COVID-19: Evidence from US and Singapore. Journalism & Mass Communication Quarterly, 99(1), 44-68. doi: 10.1177/10776990211049460
Schäfer, S. (2020). Illusion of knowledge through Facebook news? Effects of snack news in a news feed on perceived knowledge, attitude strength, and willingness for discussions. Computers in Human Behavior, 103, 1–12. doi:10.1016/j.chb.2019.08.031
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