Promovieren in Deutschland – Bestenauslese oder Resterampe?

Würden Sie in ein Unternehmen einsteigen, das nur 26 Stunden bezahlt, obwohl Sie 40 Stunden arbeiten? Wenn Sie in Deutschland promovieren wollen, ist dieser Deal meist der Bestfall – eine Problemdarstellung.

writingUnter dem Hashtag „unbezahlt“ wird auf Twitter in letzter Zeit vermehrt über die mangelhaften Vergütungsstrukturen an deutschen Hochschulen diskutiert. Dabei wird klar, dass insbesondere Promovierenden ein schlechter Deal geboten wird. In der Psychologie und den meisten anderen Fächern sind Promotionsstellen aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in der Regel mit bis zu 65% Stellenanteil vergütet (DFG, 2011), obwohl implizit (meist sogar explizit) 100% Arbeitszeit verlangt werden. Auf Stellen, die aus Haushaltsmitteln der Universitäten bestritten werden, liegt der Stellenanteil häufig bei 50%. Begründet wird dies meist damit, dass die Promotionsphase eine Weiterqualifikation darstelle, Projektarbeit nur in 50-65% der Zeit stattfinde und die Promotion Privatsache sei. Hinter vorgehaltener Hand geben die meisten im Wissenschaftssystem jedoch zu, dass DFG-Projekte nur dann effizient und wie kalkuliert durchführbar sind, wenn Projektarbeit und Promotion deckungsgleich gestaltet werden. Dies spiegelt sich auch im begrüßenswerten Trend wider, dass immer mehr Promotionen auch offiziell kumulativ, d.h. aus Projektpublikationen statt aus scheinunabhängigen Monographien, entstehen. Dadurch können Promotionsleistungen faktisch nicht mehr von der übrigen Projektarbeit unterschieden werden und somit wird real von Projektleitern wie Drittmittelgebenden 100% Arbeit bei 50-65% Lohn einkalkuliert. Dass dies das übliche Vorgehen ist, lässt sich an Zahlen aus einer Promovierendenbefragung zu Überstunden verifizieren (Ambrasat, 2019). Selbstverständlich wird diese Handhabung in der Regel auch während des Bewerbungsgesprächs thematisiert, damit der/die zukünftige Promovierende sich ein realistisches Bild machen kann und nicht auf die Idee kommt, weniger zu arbeiten.

Man mag diese systematische Ausbeutung des wissenschaftlichen Nachwuchses verwerflich finden und allein darin einen Handlungsbedarf begründen. In jedem Fall hat der Europäische Gerichtshof jedoch kürzlich geurteilt, dass Arbeitgebende zukünftig die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden verpflichtend systematisch erfassen müssen (Redaktion beck-aktuell, 2019), wodurch die oben dargestellte Praxis in Zukunft objektiv beurteilbar werden wird.  Stellt sich dabei heraus, dass Promovierende auf Teilzeitstellen tatsächlich massiv Überstunden leisten (Beamtenbund und Tarifunion, 2017), müssten diese dienstlich untersagt werden. Alternativ müssten die Hochschulen die derzeit im stillschweigenden Einverständnis entstehenden Überstunden durch Freizeit ausgleichen oder entsprechend des Tarifvertrages vergüten (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) §8 Satz 1a, 2006).

Unabhängig von moralischen und rechtlichen Bedenken stellt sich vermehrt die Frage, ob die derzeitige Praxis gewährleistet, dass Promotionsstellen nach dem Prinzip der Bestenauslese besetzt werden können. Schon jetzt beklagen sich vermehrt Kolleginnen und Kollegen, dass sich die Bewerbendenlage für ausgeschriebene Promotionsstellen stark verschlechtert hat. Gerade in der Psychologie existiert nämlich für Absolventinnen und Absolventen neben der wissenschaftlichen Tätigkeit ein attraktiver Arbeitsmarkt (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2018) sowohl in der der psychotherapeutischen Tätigkeit als auch in der Privatwirtschaft, was sich beispielsweise in einer äußerst niedrigen Arbeitslosenquote für Psychologen und Psychologinnen von 2,4% wiederspiegelt. In Zukunft gewinnt voraussichtlich der Karriereweg „PsychotherapeutIn“ durch die Reform des Psychotherapeutengesetzes (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2019) zusätzlich massiv an Attraktivität, da approbierte Absolventen und Absolventinnen der Psychologie sich nicht mehr als unterbezahlte PsychologInnen in Ausbildung verdingen müssen (Husen, 2013). Dass auch auf der höchsten Führungsebene der Hochschulen ein Umdenken stattfindet, spiegelt sich in dem deutlichen Plädoyer für 100%-Promotionsstellen von Professor Ulrich Radtke (2018), dem Vizepräsidenten der Hochschulrektorenkonferenz und Rektor der Universität Duisburg-Essen, wider.  Die Fakultät für Bildungswissenschaften, zu der in Duisburg-Essen die Psychologie gehört, hat darauf bereits durch einen Beschluss Ende letzten Jahres Taten folgen lassen. Zukünftig stellt die Fakultät bei Neuberufungen Qualifikationsstellen im Umfang von 75% zur Verfügung.

Der DFG kommt als Organ zur Selbstverwaltung der deutschen Wissenschaft in diesem Zusammenhang eine besonders wichtige Rolle zu, da die von ihr für Anträge vorgeschriebenen Stellenanteile Signalwirkung für das gesamte Wissenschaftssystem entfalten. Die Stellenanteile bei Promotionen sind dabei das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses (dfg_public, 2019), an dem vor allem die Fachkollegien und das Präsidium mitwirken. Es wäre daher wünschenswert, wenn sich die Kandidierenden für die Ende 2019 anstehenden Wahlen für das Fachkollegium Psychologie mit dieser Thematik beschäftigen und klar Stellung beziehen würden. Die Vertreterinnen und Vertreter der Jungmitglieder in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie haben sich kürzlich in ihrer Stellungnahme für eine Erhöhung des Stellenumfangs von Promotionsstellen auf 100% ausgesprochen (JungmitgliedervertreterInnen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, 2019). Es ist höchste Zeit für eine zukunftsfähige Weichenstellungen. Die deutsche Forschungslandschaft wird nur dann ihre international herausragende Stellung beibehalten, wenn junge Spitzentalente nach dem Studium attraktive Konditionen im Wissenschaftssystem vorfinden, dafür ist eine leistungsgerechte Bezahlung von Promovierenden der erste Schritt.

Quellen:

Ambrasat, J. (2019). Bezahlt oder unbezahlt? Überstunden im akademischen Mittelbau. Forschung & Lehre. 2(19), 152–154. Verfügbar unter https://www.forschung-und-lehre.de/fileadmin/user_upload/Rubriken/Karriere/2019/2-19/FuL_2-19_Ambrast.pdf [03.06.19].

Beamtenbund und Tarifunion (2017). Überstundenzuschläge bei Teilzeitbeschäftigung und im Schichtdienst. Verfügbar unter https://www.dbb.de/teaserdetail/artikel/ueberstundenzuschlaege-bei-teilzeitbeschaeftigung-und-im-schichtdienst.html [03.06.19].

Deutsche Forschungsgemeinschaft (2011).  Hinweis zur Bezahlung von Promovierenden. Verfügbar unter https://www.dfg.de/formulare/55_02/55_02_de.pdf [03.06.19].

Deutsche Gesellschaft für Psychologie (2018). Arbeitsmarkt für Psychologen. Verfügbar unter https://studium.dgps.de/berufsfelder/arbeitsmarkt-fuer-psychologen/ [03.06.19]

Deutsche Gesellschaft für Psychologie. (2019). Psychotherapiereform: Aktuelles. Verfügbar unter  https://psychotherapie.dgps.de/aktuelles/ [03.06.19]

dfg_public (2019). Wir würden gern hinzufügen: #DFG-Graduiertenkollegs gibt es, um bessere Promotionsbedingungen bieten zu können (seit 1990). Und um die Frage oben aufzugreifen: Die Bezahlung/der Umfang der Stellen ist Ergebnis eines Aushandlungsprozesses. [Tweet]. Verfügbar unter  https://twitter.com/dfg_public/status/1131474860792848385 [03.06.19]

Husen, K. (2013). Warum verdienen wir nicht das, was wir verdienen?. The Inquisitive Mind. Verfügbar unter http://de.in-mind.org/blog/post/warum-verdienen-wir-nicht-das-was-wir-verdienen [03.06.19].

Jungmitgliedervertreter*innen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (2019). Stellungnahme der Jungmitgliedervertreter*innen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) zur Unterbezahlung von Promovierenden. Verfügbar unter  https://www.dgps.de/index.php?id=143&tx_ttnews[tt_news]=1927&cHash=3268d278c1e89a461547b654045818f6 [03.06.19]

Redaktion beck-aktuell. (2019). EuGH: EU-Mitgliedstaaten müssen Arbeitgeber zu systematischer Arbeitszeiterfassung verpflichten. Nachrichten, Pressemitteilungen, Fachnews. München: C.H.Beck. Verfügbar unter https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Freddok%2Fbecklink%2F2013096.htm&anchor=Y-300-Z-BECKLINK-N-2013096 [03.06.19].

Radtke, U. (2018). Es geht um Respekt. Verfügbar unter https://www.jmwiarda.de/2018/11/07/100-prozent-respekt/ [03.06.19].

Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), §8 Satz 1a, Tarifgemeinschaft deutscher Länder - Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (ver.di und dbb beamten und tarifunion), 12. Oktober 2006, in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 10 vom 7. November 2017. Verfügbar unter https://www.tdl-online.de/fileadmin/downloads/rechte_Navigation/A._TV-L__2011_/01_Tarifvertrag/TV-L__i.d.F._des_%C3%84TV_Nr._10_VT.pdf [03.06.19].

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