Schreiben Sie sich frei!
Sich etwas von der Seele zu schreiben, ist nicht nur eine Redensart, sondern kann auch unsere Gesundheit fördern. Seit mehreren Jahrzehnten sind PsychologInnen der Wirkung des expressiven Schreibens auf der Spur.
Wann haben Sie zuletzt geschrieben? Nein, nicht die Mail an Ihren Kollegen, nicht die Postkarte an Ihre Großtante und auch nicht den letzten Einkaufszettel. Wann haben Sie zuletzt Ihre Gefühle zu Papier gebracht?
Während das Tagebuchschreiben im Kindes- und Jugendalter für viele selbstverständlich ist, greifen wir mit den Jahren immer weniger zum Stift, wenn uns etwas auf dem Herzen liegt. Dabei gilt das sogenannte expressive Schreiben, also die schriftliche Auseinandersetzung mit belastenden Erlebnissen, als eine simple und dennoch effektive Methode, die eigene Gesundheit zu fördern und das psychische Wohlbefinden zu erhöhen (Kállay, 2015).
Das Verfahren wurde in den 1980er Jahren von dem US-amerikanischen Psychologen James Pennebaker begründet, der als erster zusammen mit seiner Kollegin Sandra Beall die Effekte des Schreibens auf die körperliche und psychische Gesundheit untersuchte. Dabei bat er Studierende, an vier aufeinanderfolgenden Tagen über ein traumatisches Erlebnis zu schreiben und ihre tiefsten Gefühle und Gedanken in Bezug auf dieses Erlebnis mit möglichst vielen Details zu Papier zu bringen. Die zunächst belastende Aufgabe hatte auf lange Sicht eine positive Wirkung auf die TeilnehmerInnen: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die über belanglose Ereignisse schrieb, mussten die Studierenden in den folgenden sechs Monaten deutlich seltener einen Arzt bzw. eine Ärztin aufsuchen (Pennebaker & Beall, 1986).
Dieser erstaunliche Befund war der Ausgangspunkt einer ganzen Reihe weiterer Studien, die die Wirkung des expressiven Schreibens bei verschiedenen, gesunden wie physisch und psychisch eingeschränkten Personengruppen bis heute untersuchen. Das große Interesse hat einen einfach Grund: Die Intervention ist leicht zugänglich und kostengünstig. Daher können viele Menschen von ihr profitieren. Auch wenn längst nicht alle dieser Studien zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen, zeichnen sie insgesamt ein optimistisches Bild: Belastende Erlebnisse in Worte zu fassen, stärkt sowohl die psychische als auch die körperliche Gesundheit und hat zum Beispiel einen positiven Einfluss auf das Immunsystem (Kállay, 2015). Eine Untersuchung der US-amerikanischen Psychologin Katherine Krpan deutet sogar darauf hin, dass die Methode dabei helfen kann, depressive Symptome zu lindern. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigten depressive PatientInnen, die für 20 Minuten an drei aufeinanderfolgenden Tagen über ein besonders emotionales Ereignis schrieben, einen bedeutsamen Rückgang in ihrer depressiven Symptomatik (Krpan et al., 2013).
Wie lässt sich die heilsame Wirkung des Schreibens erklären? Jüngste Studienergebnisse (Park et al., 2016) legen nahe, dass der Stift in der Hand uns dabei hilft, unsere schlechten Erfahrungen wortwörtlich von der Seele zu schreiben. Indem wir unsere negativen Emotionen auf Papier bannen, fällt es uns leichter, Abstand zu ihnen zu gewinnen. Wir sortieren die diffuse Mischung an Erinnerungsfetzen und schlechten Gefühlen, fassen sie zu einer schlüssigen Geschichte im Buch unseres Lebens zusammen und sind nach dem Schreiben dazu bereit, ein neues Kapitel zu beginnen. Selbstdistanzierung nennt die Psychologin JiYoung Park diesen Mechanismus, der dem expressiven Schreiben möglicherweise zugrunde liegt. Grund genug also, es sich gerade in den trüben Wintermonaten am Abend auf dem Sofa mit Stift und Papier gemütlich zu machen und den Stress der Weihnachtszeit von sich zu schreiben.
Wem die Zeit für große Worte fehlt, der kann übrigens schon mit ein paar Notizen sein Wohlbefinden steigern. Durch das Schreiben können wir nämlich nicht nur unangenehme Erlebnisse loslassen, sondern uns auch auf schöne Ereignisse besinnen.Probieren Sie es selbst aus und notieren Sie sich jeden Abend drei positive Dinge, die Ihnen an diesem Tag widerfahren sind – das Lob vom Chef, das angeregte Gespräch bei einem guten Glas Wein mit ihrer besten Freundin oder das Lächeln des Busfahrers auf dem Weg nach Hause. Das tägliche Festhalten schöner Erlebnisse, so zeigt eine Studie des Pioniers der positiven Psychologie Martin Seligman (Seligman et al., 2005), steigert das Wohlbefinden.
Quellen:
Kállay, E. (2015). Physical and psychological benefits of written emotional expression. Review of meta-analyses and recommendations. European Psychologist, 20(4),242-251.
Krpan, K. M., Kross, E., Berman, M. G., Deldin, P. J., Askren, M. K. & Jonides, J. (2013). An everyday activity as a treatment for depression: The benefits of expressive writing for people diagnosed with major depressive disorder. Journal of Affective Disorders, 150, 1148-1151.
Park, J., Özlem, A. & Kross, E. (2016). Stepping back to move forward: Expressive writing promotes self-distancing. Emotion, 16(3),349-364.
Pennebaker, J. W. & Beall, S. K. (1986). Confronting a traumatic event: Toward an understanding of inhibition and disease. Journal of Abnormal Psychology, 95, 274-281.
Seligman, M. E. P., Steen, T. A., Park, N. & Peterson, C. (2005). Positive psychology progress: Empirical validation of interventions. American Psychologist, 60(5), 410-421.
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