Von Feinden zu Gesprächspartnern: Könnte paradoxes Denken extreme Einstellungen gegenüber anderen Personengruppen abmildern?

In vielen globalen Konflikten stehen zwei Gruppen mit scheinbar unvereinbaren politischen, religiösen oder territorialen Interessen gegenüber. Oftmals blockieren verhärtete Ansichten über die jeweils andere Seite die gemeinsame Suche nach Lösungen. Hier könnte eine unkonventionelle Methode helfen, solche festgefahrenen Meinungen zu lockern.

In langanhaltenden Konflikten zwischen zwei Gruppen verhärten sich meist die Fronten: Vorurteile, Schuldzuweisungen und mangelnde Kompromissbereitschaft führen bisweilen zu regelrechter Feindseligkeit, die oft tief innerhalb einer Gruppe verwurzelt ist. Solche starren und extrem negativen Einstellungen über die andere Gruppe stehen einer konstruktiven Konfliktlösung im Weg. Vor dieser Herausforderung drängt sich die Frage auf: Wie können solche negativen Einstellungen abgemildert werden?

Üblicherweise würde man versuchen, mit Gegenargumenten ein Umdenken anzuregen. Allerdings neigen Menschen häufig dazu, Informationen, die nicht ihrem Weltbild entsprechen, zu ignorieren oder ihnen keinen Glauben zu schenken. Daher schlägt das Forschungsteam um die israelischen Sozialpsychologen Boaz Hameiri und Daniel Bar-Tal einen eher unkonventionellen Ansatz vor: das sogenannte „paradoxical thinking“ (paradoxes oder kontraintuitives Denken).

Statt mit direkten Gegenargumenten zu arbeiten, werden Personen beim „paradoxen Denken“ mit übertriebenen Schlussfolgerungen ihrer eigenen Überzeugungen zu einem Konflikt oder einer Personengruppe konfrontiert. Durch die extremen bis unrealistischen Folgerungen sollen die Personen Unstimmigkeiten in ihren Ansichten erkennen, diese somit stärker hinterfragen und offener für andere Sichtweisen werden.

Vor mehr als zehn Jahren haben die Forscher:innen diese Methode erstmals experimentell untersucht (Hameiri et al., 2014). Dafür sahen 81 jüdisch-israelische Teilnehmende 15 kurze Videoclips zum Israel-Palästina-Konflikt. In diesen Clips wurde die Ansicht übersteigert dargestellt, dass israelische Bürger:innen immer moralisch handelten und das israelische Militär stets der palästinensischen Zivilbevölkerung helfe. Eine der überspitzten Schlussfolgerungen lautete z.B., dass der Konflikt fortgeführt werden müsse, da er innerhalb der israelischen Bevölkerung ein Gefühl von Einigkeit und moralischer Überlegenheit stärke. Weiteren 80 Teilnehmenden ( Kontrollgruppe) wurden unpolitische Werbeclips gezeigt.

Die Ergebnisse des Experiments sind ermutigend: Die paradoxen Botschaften wirkten besonders bei Personen mit politisch rechten Ansichten, die eine strikte Sicherheitspolitik und den Ausbau jüdischer Siedlungen befürworteten. Im Vergleich zur Kontrollgruppe relativierten sie ihre starre Meinung, die palästinensische Bevölkerung sei allein für die Aufrechterhaltung des Konflikts verantwortlich. Zudem lockerten sie ihre kompromisslose Haltung in der Siedlungspolitik. Bei der israelischen Parlamentswahl, die wenige Wochen nach der Videopräsentation stattfand, neigten sie außerdem häufiger zu gemäßigteren Parteien (Hameiri et al., 2014).

Sollten wir also in politischen Debatten weniger gegen die Meinung anderer argumentieren und eher überzogene Schlussfolgerungen aus deren Ansichten ziehen? So einfach ist es nicht. Dieses und weitere Experimente des Forschungsteams zeigten, dass „paradoxes Denken“ nur unter bestimmten Bedingungen funktioniert (Bar-Tal & Hameiri, 2020): So dürfen die präsentierten Aussagen nicht so absurd sein, dass sie sofort Reaktanz hervorrufen und empört abgelehnt werden. Gleichzeitig dürfen sie auch nicht zu nah an der ursprünglichen Einstellung sein, um diese nicht unbeabsichtigt zu verstärken oder sogar zu verhärten. Es geht also darum, die perfekte Mitte zu finden.

Das „paradoxe Denken“ könnte somit eine mögliche Methode sein, um verfeindete Bevölkerungsgruppen einander näherzubringen. Allerdings ist ihr Einsatz mit Bedacht und Vorsicht zu handhaben, um nicht die gegenteiligen Effekte zu erzielen. Ebenfalls erscheint wichtig, zu beachten, dass diese Technik zwar durch eine Replikationsstudie (Hameiri et al., 2018) und im Zusammenhang mit Einstellungen zu Asylsuchenden (Hameiri et al., 2020) untersucht wurde, aber Untersuchungen von anderen Forschungsteams noch ausstehen. Somit ist noch unklar, in welchen Situationen und bei welchen Menschen diese Methode tatsächlich wirksam sein kann.

Wer also diese Technik in seinen eigenen politischen Diskussionen einsetzen will, sollte daher vorsichtig damit umgehen. Es dürfte aber sehr wohl einen Versuch wert sein, einseitige oder extreme Überzeugungen des Gegenübers auf ihre übersteigerten Schlussfolgerungen hin zu überprüfen.

Literaturverzeichnis

Bar-Tal, D., & Hameiri, B. (2020). Interventions to change well-anchored attitudes in the context of intergroup conflict. Social and Personality Psychology Compass, 14(7), e12534. https://doi.org/10.1111/spc3.12534

Hameiri, B., Idan, O., Nabet, E., Bar-Tal, D., & Halperin, E. (2020). The paradoxical thinking ‘sweet spot’: The role of recipients’ latitude of rejection in the effectiveness of paradoxical thinking messages targeting anti-refugee attitudes in Isreal. Journal of Social and Political Psychology, 8(1), 266-283. https://doi.org/10.5964/jspp.v8i1.1158

Hameiri, B., Nabet, E., Bar-Tal, D., & Halperin, E. (2018). Paradoxical thinking as a conflict-resolution intervention: Comparison to alternative interventions and examination of psychological mechanisms. Personality and Social Psychology Bulletin, 44(1), 122-139. https://doi.org/10.1177/0146167217736048

Hameiri, B., Porat, R., Bar-Tal, D., Bieler, A., & Halperin, E. (2014). Paradoxical thinking as a new avenue of intervention to promote peace. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(30), 10996-11001. https://doi.org/10.1073/pnas.1407055111

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