Was hast du gesagt? Warum es älteren Menschen beim Zuhören hilft, ihr Gegenüber zu sehen

Je älter wir werden, desto schlechter werden nicht nur unsere Ohren und Augen - auch das Gehirn wird weniger flexibel. Das macht sich unter anderem darin bemerkbar, dass es älteren Menschen schwerer fällt, Sprache zu verarbeiten. Wie schafft unser Gehirn, altersbedingte Probleme bei der Sprachverarbeitung auszugleichen?

grandpa granddaugther„Wie bitte? Was hast du gesagt?“ - Du telefonierst mit den Großeltern und wirst ständig durch derartige Nachfragen unterbrochen? Dabei gab es letztens beim Treffen zum Abendessen noch keine Verständnisprobleme. Doch am Telefon können deine Großeltern dich nicht beim Sprechen sehen. Tatsächlich nutzt unser Gehirn beim Zuhören nicht nur akustische Informationen von den Ohren, sondern zieht auch andere Sinnesorgane hinzu.

Im Alltag funktioniert unsere Sprachverarbeitung meistens audiovisuell. Das heißt, wir hören eine Person nicht nur sprechen, sondern können sie auch dabei ansehen. Beim Zuhören verarbeitet unser Gehirn innerhalb weniger hundert Millisekunden die ersten Signale aus der Außenwelt. Weil sich der Mund einer Person schon öffnet, bevor wir sie hören können (van Wassenhove, Grant, & Poeppel, 2007), kommen die gesehenen Lippenbewegungen zuerst im Gehirn an. So kann es Erwartungen darüber bilden, was es gleich hören wird. Anschließend vergleicht es diese Erwartung mit dem tatsächlich Gehörten und verbindet beide Signale. Das heißt: Wir nehmen dann das Gesehene und Gehörte als zusammengehörig wahr (van Wassenhove et al., 2007).

Dies klingt zunächst nach mehr Arbeit fürs Gehirn. Die Forschung zeigt jedoch: Menschen reagieren besser und schneller, wenn sie Sprache hören und sehen, als wenn sie nur aufs Hören angewiesen sind. Nicht nur im Verhalten, sondern auch im Gehirn selbst ist diese „zweigleisige“ Sprache vorteilhaft (Begau, Klatt, Wascher, Schneider, & Getzmann, 2021; van Wassenhove et al., 2007).

Insbesondere ältere Menschen kann das entlasten. Denn obwohl viele Menschen mit steigendem Alter schlechter hören und sehen und weniger flexibel auf Veränderungen in der Umwelt reagieren können, profitieren auch sie davon, ihr Gegenüber gleichzeitig sehen und hören zu können. Tatsächlich greifen vor allem ältere Menschen bei uneindeutiger gehörter Sprache auf Gesehenes zurück (Cienkowski & Carney, 2002).

Das heißt: Wenn ihr das nächste Mal überlegt, euch mal wieder bei Oma und Opa zu melden, ladet euch doch am besten direkt auf ein Stück Kuchen ein. Ihr erleichtert euren Großeltern das Zuhören – ein doppelter Gewinn also.

 

Quellen:

Begau, A., Klatt, L.-I., Wascher, E., Schneider, D., & Getzmann, S. (2021). Do congruent lip movements facilitate speech processing in a dynamic audiovisual multi-talker scenario? An ERP study with older and younger adults. Behavioural Brain Research, 412, 113436. https://doi.org/10.1016/j.bbr.2021.113436

Cienkowski, K. M., & Carney, A. E. (2002). Auditory-visual speech perception and aging. Ear and Hearing, 23(5), 439–449. https://doi.org/10.1097/00003446-200210000-00006

van Wassenhove, V., Grant, K. W., & Poeppel, D. (2007). Temporal window of integration in auditory-visual speech perception. Neuropsychologia, 45(3), 598–607. https://doi.org/10.1016/j.neuropsychologia.2006.01.001

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