Wie sich dein Körper erinnert

“Ach, das war doch nicht so schlimm” - oftmals gestehen wir uns nicht ein, wenn uns eine Erfahrung tief erschüttert hat, bis uns körperliche Reaktionen wie Herzklopfen oder Schwitzen daran erinnern. Neue Forschung zum Stressgedächtnis zeigt auf, wie unser Körper Erlebnisse speichert, die wir schon längst vergessen geglaubt haben, und wie dies unseren Alltag beeinflusst.

woman stressedEmotional aufwühlende Erfahrungen haben einen höheren Erinnerungswert als solche, die uns emotional kalt lassen. Erleben wir etwa körperliche Gewalt, entwickeln wir oftmals eine spezielle Sensibilität gegenüber Gegebenheiten, die der ursprünglichen Erfahrung ähneln. Dies betrifft Personen, Umgebungen und andere scheinbar unwichtige Details wie Gerüche oder Farben. Diese Erinnerung erlaubt es uns, ähnliche Erlebnisse in Zukunft zu vermeiden.

Doch wie funktioniert dieses ‘Stressgedächtnis’? Dieser Frage wurde in einer neuen wissenschaftlichen Studie nachgegangen (Bierbrauer et al., 2021). Das Forschungsteam setzte gesunde Versuchspersonen einer stressigen Erfahrung aus: Sie sollten in einem fingierten Jobinterview schwierige Fragen von einem kritischen Komitee beantworten. Während des Interviews gab es einige Gegenstände, die auf dem Tisch lagen und nicht verwendet wurden (sog. periphere Gegenstände), wie z.B. Kugelschreiber, während andere Gegenstände aktiv von den Mitgliedern des Komitees verwendet wurden (sog. zentrale Gegenstände), wie etwa eine Kaffeetasse. Eine Kontrollgruppe war mit dem gleichen Komitee und den gleichen Gegenständen konfrontiert, musste aber nur harmlose Fragen beantworten und das Komitee zeigte sich freundlich. 

Später konnten sich die Versuchspersonen, die dem “stressigen Interview” ausgesetzt waren, besser an zentrale Gegenstände und Personen des Interviews erinnern als die Kontrollgruppe. Keinen Unterschied zwischen den Gruppen gab es bezüglich der Erinnerung an periphere Gegenstände. Zudem wurde gezeigt, dass die Amygdala - eine Region des Gehirns, die für Emotion und Gedächtnisprozesse zuständig ist - die Gesichter der kritischen Komiteemitglieder mit ähnlichen Aktivierungsmustern abrief wie die zentralen Gegenstände, die sie verwendeten. Zudem wurden sich die Aktivierungsmuster der verschiedenen zentralen Gegenstände nach dem Interview ähnlicher. Je ähnlicher sich die Aktivierungsmuster der zentralen Gegenstände wurden, desto besser erinnerten sich die Versuchspersonen an das stressige Erlebnis. 

Diese Ergebnisse zeigen uns, dass unser Gehirn eine als emotional aufwühlend erlebte Situation in seiner Gesamtheit abspeichert, inklusive der Personen, aber auch der Gegenstände, die Teil dieser Erfahrung waren. Die Forschungsgruppe nennt dies eine stressor-centered memory representation - einen “stressfokussierten Gedächtnispfad”. Solche stressfokussierten Gedächtnispfade könnten der Grund dafür sein, warum - um bei dem oben beschriebenen Beispiel zu bleiben - uns der Anblick einer bestimmten Kaffeetasse ein unbehagliches Gefühl bescheren kann, obwohl wir uns möglicherweise gar nicht mehr an das ursprüngliche Jobinterview erinnern. Dies kann auch Personen, Räume, Farben oder Gerüche betreffen. Dieser Mechanismus hilft uns, uns vor negativen Erfahrungen zu schützen. Doch er kann nachteilig sein, wenn wir etwa nur beim Gedanken an das nächste Jobinterview bereits Herzrasen bekommen und uns deswegen womöglich gar nicht auf den attraktiven neuen Job bewerben. 

Ein sorgfältiges Reflektieren und Einordnen der eigenen körperlichen Reaktionen und der auslösenden Bedingungen kann daher oftmals sinnvoll sein, um alte Gedächtnispfade, die nicht mehr zur aktuellen Lebensrealität passen, zu überschreiben und offen für neue Herausforderungen zu sein.

 

Quelle:

Bierbrauer, A., Fellner, M. C., Heinen, R., Wolf, O. T., & Axmacher, N. (2021). The memory trace of a stressful episode. Current Biology, 31, 5204-13.

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