Selbstkontrolle: Es gibt nichts Gutes außer man tut es
Wer kennt es nicht: Man hatte sich fest vorgenommen, nach der Arbeit zum Sport zu gehen, aber plötzlich ist es 22:00, man sitzt auf dem Sofa und die Sportsachen liegen unbenutzt im Schrank. „Tja, ich habe wohl nicht genug Selbstkontrolle!“ – Aber was ist Selbstkontrolle eigentlich und wie misst man, wer davon „viel“ oder „wenig“ hat? Und ist es überhaupt das, worauf es ankommt?
Es ist gar nicht so einfach genau zu definieren, was Selbstkontrolle ist. Die Forschungsliteratur sah Selbstkontrolle lange als die Fähigkeit an, unerwünschte Impulse (z.B. den Impuls auf dem Sofa sitzen zu bleiben, statt zum Sport zu gehen) zu unterdrücken (Katzir et al., 2021). Neuere Forschung weist aber darauf hin, dass zu Selbstkontrolle mehr gehört als nur das Unterdrücken von Impulsen und dass verschiedene Strategien hilfreich sein können (Katzir et al., 2024). Zum Beispiel sich mit einer Freundin zum Sport zu verabreden. Wenn wir also messen wollen, wie „gut“ jemand in Selbstkontrolle ist, macht es Sinn sich anzuschauen, welche Strategien die Person nutzt und ob diese Strategien effektiv sind.
Welche Strategien gibt es?
Eine Studie (Katzir et al., 2021) hat verschiedene Selbstkontrollstrategien aus der Literatur zusammengefasst und einen englischen Fragebogen entwickelt (später ins Deutsche übersetzt von Roth et al. (2024)). Der Fragebogen enthält acht Strategien, die Leute nutzen, um ihre Ziele zu erreichen und unerwünschte Impulse zu vermeiden. Einige Strategien kann man außerhalb der unmittelbaren Situation, in der ein unerwünschter Impuls auftritt, ergreifen:
- Die Situation so verändern, dass unerwünschte Impulse gar nicht erst auftreten (= Direkt nach der Arbeit zum Sport fahren)
- Sich belohnen, wenn man seinem Ziel treu geblieben ist (= Sich leckeres Essen gönnen, wenn man beim Sport war)
- Sich „bestrafen“, wenn man einem unerwünschten Impuls nachgibt (= Die Lieblingsserie nicht weiterschauen, wenn man nicht beim Sport war)
- Vorab Maßnahmen ergreifen, die es unattraktiver machen, dem unerwünschten Impuls nachzugeben (= Sich mit jemandem zum Sport verabreden, sodass es „unangenehm“ ist abzusagen)
Andere Strategien kann man nutzen, um den unerwünschten Impuls abzuschwächen, wenn er auftritt:
- Sich vom unerwünschten Impuls ablenken (für das Sport-Beispiel schwierig, aber zum Beispiel spazieren gehen, um sich vom Impuls abzulenken, Social Media zu nutzen)
- Den unerwünschten Impuls gedanklich verändern (= Sich das gemütliche Sofa als „Sofa-Monster“ vorstellen, dass einen vom Sport abhalten will)
- Den unerwünschten Impuls als normal und okay akzeptieren (= Sich sagen, dass es okay ist, dass es einem schwerfällt sich zum Sport aufzuraffen)
Und als letztes kann man:
- Den unerwünschten Impuls unterdrücken (= Sich „einfach zum Sport aufraffen“)
Welche Strategien sind effektiv?
In einer umfangreichen Studie (Roth et al., 2024) wurden 3400 Personen gefragt, welche Strategien sie nutzen und wie erfolgreich sie bestimmte Ziele (im Sport, Studium…) verfolgen. Teilnehmende, die oft vorab Maßnahmen ergriffen (Strategie 4), Impulse gedanklich veränderten (Strategie 6) oder Impulse unterdrückten (Strategie 8), waren in mehreren Bereichen erfolgreicher: sie prokrastinierten und naschten weniger, hatten mehr Vertrauen in ihre jobbezogenen Fähigkeiten und waren insgesamt zufriedener. Darüber hinaus waren unterschiedliche Strategien in bestimmten Bereichen hilfreich, zum Beispiel die Situation zu verändern (Strategie 1) für regelmäßigen Sport oder Ablenkung (Strategie 5) beim Vorbereiten auf eine Prüfung. Sich zu bestrafen hingegen schien eher kontraproduktiv zu sein und beispielweise mit mehr und nicht weniger Prokrastination zusammenzuhängen.
Zwei Dinge sollte man bei den Ergebnissen im Kopf behalten. Erstens zeigen sie nur Zusammenhänge auf; zukünftige Forschung muss noch untersuchen, ob man seine Ziele besser erreicht, wenn man gezielt bestimmte Strategien anwendet. Zweitens könnte der positive Effekt der Unterdrückung von Impulsen überschätzt sein, weil andere Strategien es vielleicht erleichtern Impulse zu unterdrücken. Zum Beispiel kommt es mir vielleicht nur deswegen leicht vor, den Impuls zu unterdrücken, TikToks anzuschauen, weil ich mich mit Musik ablenke.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse aber, dass verschiedene Strategien hilfreich sind, um Ziele zu erreichen – auch abhängig davon, um welches Ziel es geht. Also was sollten wir tun, wenn wir unsere Selbstkontrolle verbessern wollen? Wir sollten verschiedene Strategien ausprobieren und schauen, welche am besten für unsere Ziele funktionieren (sei es regelmäßiger Sport oder für die Uni lernen). „Gute Selbstkontrolle“ ist also nicht etwas, das man hat, sondern eher etwas, das man tut!
Literaturverzeichnis
Katzir, M., Baldwin, M., Werner, K. M., & Hofmann, W. (2021). Moving beyond inhibition: Capturing a broader scope of the self-control construct with the self-control ctrategy scale (SCSS). Journal of Personality Assessment, 103(6), 762–776. https://doi.org/10.1080/00223891.2021.1883627
Roth, L. H. O., Jankowski, J. M., Meindl, D., Clay, G., Mlynski, C., Freiman, O., Nordmann, A. L., Stenzel, L.-C., & Wagner, V. (2024). Registered report: Self-control beyond inhibition—German translation and quality assessment of the self-control strategy scale (SCSS). Collabra: Psychology, 10(1), 125242. https://doi.org/10.1525/collabra.125242
Bildquelle
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (221)
- Sportpsychologie (38)
- Umweltpsychologie (22)