Cyberchondrie in der Pandemie – wie Covid-19 exzessive Internetsuche befeuert

In der Covid-19- Pandemie stellt das Internet eine wichtige Informationsquelle dar. Wenn Online-Recherchen jedoch exzessiv werden, kann dies in persönlicher Belastung resultieren. Wie Cyberchondrie mit der aktuellen Pandemie zusammenhängt, beschreibt eine neues Erklärungsmodell.

Ein Beitrag von Carolin Wolters aus der Forschungsgruppe Klinische Psychologie Köln

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Wer derzeit im Internet surft, kommt am Thema „Corona“ kaum vorbei. Infektionskrankheiten hat die Menschheit immer wieder erlebt, aber noch nie unter den aktuellen Bedingungen: Ein globales Informationsnetzwerk sorgte dafür, dass in weiten Teilen der Welt die Angst vor dem Virus bereits lange vor den ersten Infektionsfällen grassierte. Dieses Netzwerk hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich Gesundheitssysteme auf die Pandemie vorbereiten und Menschen entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen konnten (Jokic-Begic et al., 2020). Gleichzeitig fördert die Überflutung mit (Fehl-)Informationen ein Phänomen, das bereits einige Jahre vor der Pandemie benannt wurde: die Cyberchondrie. Darunter versteht man wiederholte und exzessive Internetrecherchen zu Gesundheitsfragen, die mit erhöhter Angst vor Krankheiten und Stresserleben einhergehen. Cyberchondrie kann einerseits zu einer Vermeidung von ärztlichen Sprechstunden, andererseits aber auch zu einer erhöhten Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen, wodurch sie neben der persönlichen Belastung auch zu einem Problem mit gesellschaftlicher Bedeutung wird. 

Verschiedene Studien belegen bereits einen Zusammenhang zwischen Cyberchondrie und der Angst vor Covid-19 (Jokic-Begic et al., 2020; Jungmann & Witthöft, 2020; Seyed Hashemi et al., 2020). Ein internationales Forschungsteam hat nun ein Erklärungsmodell entwickelt, das den Zusammenhang zwischen der Pandemie und exzessiver Internetrecherche darstellt (Starcevic et al.,2020).

Als hochansteckende und potenziell tödliche Infektionskrankheit führt Covid-19 verständlicherweise bei den meisten Menschen zu Gefühlen von Angst und Bedrohung. Besonders stark ausgeprägte Bedrohungsgefühle werden u.a. durch Persönlichkeitsmerkmale wie emotionale Labilität, eine wahrgenommene eigene Anfälligkeit für Erkrankungen oder auch Umweltfaktoren wie ein „panikartiger“ gesellschaftlicher Umgang mit Covid-19 begünstigt. Als neuartige und dementsprechend bislang wenig erforschte Krankheit führt Covid-19 zudem zu allgemeiner Verunsicherung, wobei sich Menschen in ihrer Fähigkeit, Unsicherheitsgefühle auszuhalten und mit ihnen umzugehen, stark unterscheiden. Häufige Online-Recherchen über Covid-19 sind umso wahrscheinlicher, je stärker Personen die Krankheit als Bedrohung wahrnehmen und je schlechter sie damit einhergehende Gefühle der Unsicherheit bewältigen können. 

Verschiedene Faktoren können dazu führen, dass diese Recherchen exzessiv und damit potenziell schädlich werden. Zum einen herrscht im Internet ein deutlicher Informationsüberfluss, sodass die Unterscheidung zwischen vertrauenswürdigen und nicht vertrauenswürdigen Quellen enorm schwierig ist. Aufgrund der Neuheit der Covid-19-Erkrankung können selbst etablierte Quellen außerdem als wenig eindeutig und vertrauenswürdig wahrgenommen werden. Die Flut an Fehlinformationen, die insbesondere über soziale Netzwerke verbreitet werden, wurde bereits als eigenes Gesundheitsrisiko benannt.

Die Online-Suche nach Informationen über Covid-19 stellt einen Versuch dar, Sicherheit zu bekommen, indem beispielsweise nach Schutzmaßnahmen gesucht wird. Gleichzeitig führt eine solche Recherche jedoch auch oft zu ängstigenden Ergebnissen, die wiederum das Bedürfnis steigern, weiter zu recherchieren. Cyberchondrie zeigt hier Merkmale eines Zwangs: Es wird immer weitergesucht, da nie ein Gefühl von „ausreichender“ Sicherheit erzielt wird, sondern stattdessen die anfänglichen Befürchtungen weiter verstärkt werden. 

Als Ausweg aus diesem Teufelskreis sehen Starcevic et al. (2020) vor allem eine Stärkung der individuellen Kompetenz im Umgang mit Online-Gesundheitsinformationen. Dazu zählt, Möglichkeiten und Grenzen des Internets bei Gesundheitsfragen zu verstehen. Aufgrund der Fülle an widersprüchlichen und teilweise falschen Informationen empfehlen die AutorInnen die Nutzung offizieller und etablierter Webseiten, auch wenn selbst diese in Zeiten ständig neuer Erkenntnisse und Entscheidungen selbstverständlich keine Deutungshoheit haben. Soziale Medien sind hingegen als Hauptinformationsquelle nicht geeignet. Im Umgang mit sozialen Medien können zudem Selbstkontrollstrategien gestärkt werden. Auch Leitfäden können helfen, sich im Dschungel der Gesundheitsinformationen besser zurechtzufinden und Rechercheergebnisse kritisch zu betrachten.

Wenn Cyberchondrie belastende Ausmaße annimmt, können Betroffene therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, beispielsweise in unserer Spezialambulanz für Krankheitsangst.

 

Quellen:

Jokic-Begic, N., Lauri Korajlija, A., & Mikac, U. (2020). Cyberchondria in the age of COVID-19. PLoS One, 15(12), e0243704. doi:10.1371/journal.pone.0243704

Jungmann, S. M., & Witthöft, M. (2020). Health anxiety, cyberchondria, and coping in the current COVID-19 pandemic: Which factors are related to coronavirus anxiety? Journal of Anxiety Disorders, 73, 102239. doi:10.1016/j.janxdis.2020.102239

Seyed Hashemi, S. G., Hosseinnezhad, S., Dini, S., Griffiths, M. D., Lin, C. Y., & Pakpour, A. H. (2020). The mediating effect of the cyberchondria and anxiety sensitivity in the association between problematic internet use, metacognition beliefs, and fear of COVID-19 among Iranian online population. Heliyon, 6(10), e05135. doi:10.1016/j.heliyon.2020.e05135

Starcevic, V., Schimmenti, A., Billieux, J., & Berle, D. (2020). Cyberchondria in the time of the COVID-19 pandemic. Human Behavior and Emerging Technologies, 3(1), 53-62. doi:10.1002/hbe2.233

 

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