Das Phantomtor von Hoffenheim – warum Fußball für unsere Wahrnehmung zu kompliziert ist

Ein Tor das keines war erregte die Gemüter am 9. Spieltag der Bundesliga. Stefan Kießlings Kopfball fand den Weg durch eine defekte Masche ins Tor – das „Phantomtor“ war eine klassische Fehlentscheidung des Schiedsrichters. Warum den Beteiligten kein Vorwurf gemacht werden darf, lässt sich wahrnehmungspsychologisch begründen.

Bild von wax115 via morguefileBild von wax115 via morguefile (https://morguefile.com/search/morguefile/4/goal/pop), Morguefile license (https://morguefile.com/license)Idealerweise sollte die Aufmerksamkeit der Spielbeteiligten auf mehrere Stellen des Spiels gleichzeitig gerichtet sein: auf den Ball, den Stürmer und das Tor. Und diese Aufmerksamkeit sollte im Spielverlauf durchgehend hoch sein. Dadurch würde gewährleistet, dass keine Auffälligkeiten, zum Beispiel Abseitspositionen oder eben Phantomtore, unbeachtet blieben. Dieser Idealzustand ist jedoch mit dem menschlichen Wahrnehmungsapparat nicht zu erreichen.

Gerade spannende Spielsituationen, die durch viel Bewegung gekennzeichnet sind, machen es aus einer wahrnehmungspsychologischen Perspektive unmöglich, alles im Blick zu behalten. Dazu kommt: Die Aufmerksamkeit und damit auch zentrale Prozesse der Wahrnehmung variieren mit der Zeit. Menschen benötigen beispielsweise besonders dann viel Aufmerksamkeit, wenn überraschende Dinge passieren. Dies sind zum Beispiel plötzliche Wechsel des Ballbesitzes zwischen zwei Fußballmannschaften. Passiert dagegen Vorhersehbares, wie Pässe innerhalb eines Teams, sind mehr Aufmerksamkeitsressourcen frei (Huff, Papenmeier, & Zacks, 2012). Die Idealvorstellung von permanenter maximaler Aufmerksamkeit lässt sich also nicht halten und Wahrnehmungsfehler werden immer dann wahrscheinlicher, je mehr Aufmerksamkeitsressourcen von der Situation beansprucht werden. Genau dann wird das Phänomen relevant, dass Menschen basierend auf ihren Erfahrungen nicht wahrgenommene Sachverhalte ergänzen und auch entsprechend erinnern. So wurden in einem Experiment kurze Filmclips gezeigt, die einen Wurf zeigten, den Zeitpunkt des Abwurfs aber ausließen. Die Versuchspersonen erinnerten jedoch konsistent den Abwurf (Strickland & Keil, 2011; Bsp.: http://www.youtube.com/watch?v=M9DZjct7uCY&feature=plcp). Zusammenfassend: Zu Zeitpunkten überforderter Aufmerksamkeitsressourcen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen aufgrund ihrer Erfahrung nicht stattgefundene Ereignisse erinnern. Die Ereignisse von Hoffenheim – das Tor das keines war – können  so erklärt werden.

Vor dem Hintergrund dieser Eigenschaften der menschlichen Wahrnehmung dynamischer Ereignisse scheint es überraschend, dass die meisten Entscheidungen von Schiedsrichtern korrekt sind. Dies wird nicht zuletzt auch durch Zeitlupenaufnahmen immer wieder bestätigt. Die hohe Expertise der Schiedsrichter ermöglicht es ihnen, Entscheidungen auch unter nicht optimalen Wahrnehmungsbedingungen zu treffen. Diese Expertise jedoch trägt auch dazu bei, dass es bei höchst ungewöhnlichen Spielsituationen immer wieder zu Fehlentscheidungen kommt. Solange technische Hilfsmittel wie zum Beispiel der Videobeweis im Fußball nicht zugelassen sind, werden Fans damit leben müssen.

Quellen:

Huff, M., Papenmeier, F., & Zacks, J. M. (2012). Visual target detection is impaired at event boundaries. Visual Cognition, 20(7), 848–864. doi:10.1080/13506285.2012.705359

Strickland, B., & Keil, F. (2011). Event completion: Event based inferences distort memory in a matter of seconds. Cognition, 121(3), 409–415. doi:10.1016/j.cognition.2011.04.007