Die dunkle Seite von Leistungszielen: Wann führt das Streben nach Leistungsdemonstration zu Betrug?

Akademisches Betrugsverhalten (= Nutzung unerlaubter Hilfsmittel oder Hilfestellungen) ist sowohl an Schulen als auch an Universitäten weit verbreitet. Da Betrug sowohl die Fairness von Prüfungen gefährdet als auch der Verinnerlichung von Wissen im Weg steht, stellt sich die Frage, wieso sich Lernende diesem allgemein unerwünschten Verhalten zuwenden.

„Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ – es gibt viele Redewendungen, die implizieren, dass Betrugsverhalten in der Person selbst verankert ist. Dem gegenüber steht die Beobachtung, dass die relative Mehrheit von Studierenden und Schüler:innen (über 50 Prozent) in internationalen Studien angibt, zumindest gelegentlich zu Betrugsverhalten zu greifen (Teixeira & Rocha, 2010). Dies deutet darauf hin, dass es nicht primär stabile Persönlichkeitsmerkmale sind, die zu Betrugsverhalten führen. Vielmehr scheinen viele Menschen zu Betrug motivierbar zu sein.

Eine entsprechende Erklärung für Betrugsverhalten könnte sein, dass Menschen es als eine günstige Möglichkeit sehen, ihre Ziele zu erreichen. Die Pädagogische Psychologie unterscheidet hierbei zwischen dem Streben, eigene Fähigkeiten zu erweitern (= Lernziele) und dem Streben, diese zu demonstrieren (= Leistungsziele; siehe Murayama, et al., 2012). Es erscheint logisch, dass Personen, die nach Lernzielen streben, weniger betrügen, da Betrug dem Ziel entgegensteht, wirklich etwas zu verstehen. Im Kontrast dazu könnte Betrug jedoch durchaus als attraktives Mittel gesehen werden, um Leistungsziele zu erreichen.

Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse, d.h. eine zusammenfassende Analyse vieler empirischer Studien, bestätigte einen negativen Zusammenhang von Lernzielen mit Betrugsverhalten, nicht jedoch den angenommenen positiven Zusammenhang mit Leistungszielen (Fritz et al., 2023). Für letztere zeigt sich ein sehr heterogenes Befundmuster, welches nahelegt, dass zusätzlich zur Motivation, kompetent zu wirken, auch noch weitere Randbedingungen notwendig sind, damit Studierende und Schüler:innen Betrug als zielführende Verhaltensweisen auffassen.

Experimentelle Arbeiten legen dabei nahe, dass Leistungsziele insbesondere dann zur Betrugsneigung beitragen, wenn die Rahmenbedingungen die Erwartung wecken, dass entsprechendes Verhalten erfolgreich zur Zielerreichung beiträgt. So nutzten Studierende in solchen Untersuchungen, nachdem ihnen vermittelt worden war, dass höhere Leistung zu einer besseren Vergütung führt (= Leistungszielinduktion), mit größerer Wahrscheinlichkeit unerlaubte Hilfestellungen, wenn sie beobachteten, dass auch andere Versuchsteilnehmende dies taten (Daumiller & Janke, 2019). Eine entsprechende Beobachtung kann die Idee wecken, dass Betrug im jeweiligen Umfeld sozial akzeptiert und zumindest von den anderen Versuchsteilnehmenden nicht durch „Petzen“ sanktioniert wird. 

Neben Aspekten des sozialen Umfeldes scheint auch die Art der Aufgabe eine wichtige Rolle zu spielen. So betrogen Versuchsteilnehmende nach einer Leistungszielinduktion eher, wenn lediglich das Ergebnis einer Aufgabe für deren Bepunktung berücksichtigt werden sollte. Wurden sie hingegen darüber informiert, dass auch der Lösungsprozess bei der Bepunktung einbezogen würde, zeigte die Leistungszielinduktion einen geringeren Effekt (Daumiller & Janke, 2020). Betrugsverhalten wird entsprechend insbesondere dann wahrscheinlicher, wenn Individuen zu dem Schluss kommen, dass entsprechendes Verhalten auch einfach umsetzbar ist.

Auch wenn Betrugsverhalten also auf absehbare Zeit ein Problem im Bildungssystemen bleiben wird, zeigt die Forschung mögliche Präventionsstrategien auf: Menschen werden wohl größtenteils eher nicht als Betrüger:innen geboren, sondern durch ihre Ziele zu solchem Verhalten korrumpiert/motiviert. Gleichzeitig bestimmen Randbedingungen im sozialen Umfeld und in der Natur der Prüfungsleistung, ob sich Motivation tatsächlich in diesem kritischen Verhalten niederschlägt. Um Betrugsverhalten einzudämmen, sollten Lehrkräfte bedenken, dass es für alle von Vorteil ist, wenn Lernende etwas auch wirklich verstehen wollen, und dass die Prüfungsgestaltung ganz wesentliche Auswirkungen auf die Betrugsneigung hat.

Literaturverzeichnis

Daumiller, M. & Janke, S. (2019). The impact of performance goals on cheating depends on how performance is evaluated. AERA Open, 5(4), 1–10. https://doi.org/10.1177/2332858419894276

Daumiller, M., & Janke, S. (2020). Effects of performance goals and social norms on academic dishonesty in a test. British Journal of Educational Psychology, 90(2), 537–559. https://doi.org/10.1111/bjep.12310

Fritz, T., González Cruz, H., Janke, S., & Daumiller, M. (2023a). Elucidating the associations between achievement goals and academic dishonesty: A meta-analysis. Educational Psychology Review, 35(1), Article 33. https://doi.org/10.1007/s10648-023-09753-1

Murayama, K., Elliot, A. J., & Friedman, R. (2012). Achievement goals. In R. M. Ryan (Ed.), The Oxford Handbook of Human Motivation (Oxford Library of Psychology, pp. 191–207). New York, NY: Oxford University.

Teixeira, A. A., & Rocha, M. F. (2009). Cheating by economics and business undergraduate students: An exploratory international assessment. Higher Education, 59(6), 663–701. https://doi.org/10.1007/s10734-009-9274-1