Corona-Krise: Hamsterkäufe, Hygieneregeln, Eigengruppenbezogenheit und Vernachlässigung Fremder, Verschwörungstheorien, aber auch Fensterkonzerte, Hilfskredite und Notfonds – was macht diese Krise mit uns?

In Zeiten von Corona zeigt sich die Menschheit mit Verhaltensweisen, die in dieser Bandbreite, Häufigkeit und Intensität manchmal allen zu viel werden. Psychologische Forschung kann erklären, warum die Menschen, ja gefühlt die ganze Welt gerade Kopf zu stehen scheint (Teil 1) und warum ein Praktizieren von Empathie, Dankbarkeit und Demut hilfreich sein kann, diese Krisenzeit zu akzeptieren, wie sie ist (Teil 2).

Wir alle erfahren es gerade tagtäglich: Menschen tätigen Hamsterkäufe, wir halten Abstand voneinander und tragen bereitwillig unbequeme Schutzmasken. Spannend wird es auch, wenn wir über den persönlichen Tellerrand hinwegschauen. So ließ es Deutschland zu, dass sich die EuropäerInnen vertagten – während der schlimmsten Wochen für Italien und Spanien. Gleichzeitig erleben wir recht abstrakte psychologische Phänomene: So meinen manche, dieses Virus sei uns von einer höheren Macht gesendet worden, um uns alle zu besseren Menschen zu machen. Auch werden wir in diesen Krisenzeiten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen unglaublicher Solidarität und Menschlichkeit. Die italienische Bevölkerung macht es vor und veranstaltet Fensterkonzerte zur Aufmunterung der Nachbarschaft. Aber auch Regierungen vergeben Hilfskredite. Zugleich gibt es vielerlei Einrichtungen von Notfonds, um den Schwächsten der Schwachen auch wirtschaftlich durch Misslichkeiten zu helfen. Ist das alles chaotischer Wahnsinn oder können wir diese Bandbreite an menschlichen Verhaltensweisen auch wissenschaftlich erklären und Hinweise ableiten, die uns durch diese Zeiten helfen? Die gute Nachricht ist: Ja, wir können es!

woman with mask

Drei psychologische Prinzipien erklären, was gerade mit jedem Einzelnen, aber auch mit der Welt im Ganzen passiert und wie wir es schaffen, zu lernen, diese Krisenzeit ohne Ohnmacht anzunehmen und mit ihr so gut wie möglich zu leben. 

Teil 1: Informationsverarbeitung und Bewältigungsstrategien bei erhöht empfundener Bedrohung

Sobald Menschen Bedrohungen verschiedenster Art wahrnehmen, zum Beispiel erhöhtes Sterblichkeitsbewusstsein, Kontrollverlust, perzeptuelle Überraschungen oder auch Dilemmata, dann sehen wir ein diverses, aber vorhersagbares Verhaltensmuster bei Menschen. Dieses lässt sich nach Jonas und KollegInnen (2014) in erste biopsychologische und später folgende sozialpsychologischen Reaktionen einteilen. 

Innerhalb der biopsychologischen Reaktionen wird beschrieben, dass bei Menschen unter erhöhter wahrgenommener Bedrohung (z.B. erhöhte Ansteckungsgefahr mit Covid-19 oder unerwartete Arbeitslosigkeit) eine verstärkte Aufmerksamkeit und eine erhöhte Angstempfindlichkeit zutage tritt. Das liegt auch daran, dass es bei wahrgenommener Bedrohung oft zu Widersprüchen kommt. So kann jemand zum Beispiel hoch motiviert sein, zu arbeiten, aber die Bestimmungen von Bund und Ländern schieben dieser Absicht einen Riegel vor. Hier müssen wir in der aktuellen Corona-Krise nicht weit denken. Wir wissen alle, wie schwer insbesondere die gastronomische Branche betroffen ist. Nun ist es jedoch so, dass Menschen –  wenn sie bei diesen Arten von Abwehrreaktionen (verstärkte Aufmerksamkeit und erhöhte Angstempfindlichkeit) verbleiben – in eine Art “Schockstarre” kommen. 

Ein besseres Gegenmittel, um die empfundenen Bedrohungen unter Kontrolle zu bekommen, ist eine Annäherung an die Quelle der Bedrohung. Das zeichnet sich beispielweise durch eifriges Engagement hinsichtlich persönlicher oder sozialer Anreize aus. So werden manche Menschen in dieser Zeit in Form einer Abwehrreaktion besonders sportlich oder zeigen sich außerordentlich solidarisch. Dabei lassen sich diese etwas langsameren sozialpsychologischen Reaktionen in 4 Kategorien einordnen: 

1. Konkret persönliche Bewältigungsstrategien: Hierbei neigen Menschen dazu, persönliche Ziele und Ideale stärker zu verfolgen. Dazu zählen Szenarien wie Hamsterkäufe, aber auch, alleine ein 1000-teiliges Puzzle zusammenzusetzen.

2. Konkret soziale Bewältigungsstrategien: Hierbei suchen Menschen beispielsweise verstärkt soziale Nähe, kümmern sich gesteigert um Haustiere oder werden besonders nostalgisch im Kontakt mit anderen.

3. Abstrakt persönliche Bewältigungsstrategien: Hierzu zählt beispielsweise, dass sich Menschen verstärkt Dinge einbilden oder bestimmten Grundwerten intensiver nacheifern als sonst üblich. Das könnte sich zum Beispiel darin äußern, dass religiöse Menschen ihre Religion besonders stark leben.

4. Abstrakt soziale Bewältigungsstrategien: Hierzu gehören Dinge wie das übertriebene Bestrafen von kleineren Regelverstößen oder ein verstärkter Fokus auf die eigene Gruppe und eine Vernachlässigung Fremder. 

Wenn Lösungen für empfundene Bedrohungen nicht auf der Hand liegen, wie in der momentanen Corona-Zeit, dann bewegen sich Menschen immer wieder zwischen den biopsychologischen und den sozialpsychologischen Reaktionen hin und her. Mit anderen Worten: Wir kommen kaum zur Ruhe, obwohl wir viel tun, um den Bedrohungen durch das Corona-Virus entgegenzutreten. Dieser Kreislauf sollte so schnell wie möglich verlassen werden, damit wir psychisch gesund bleiben. Eine simple, aber sehr effektive Strategie, die hier helfen kann, ist, die Krisenlage, wie wir sie vorfinden, einfach zu akzeptieren. So sollten wir beispielsweise die Augen nicht davor schließen, dass uns diese Krise mindestens noch Monate, wenn nicht sogar Jahre, nachdem wir einen wirksamen Impfstoff oder ein Medikament gefunden haben, begleiten wird. Denn erst danach werden psychologische, soziale und ökonomische Konsequenzen in ihrer vollen Breite und Tiefe sichtbar. Aber können wir lernen, diese Krisensituation einfach so zu akzeptieren, wie sie ist? Teil 2 beschreibt zwei psychologische Akzeptanzprinzipien, die einen guten ersten Weg darstellen könnten.

Aktuelle Studie zur Klärung offener Fragen

Auch wir führen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena aktuell eine groß angelegte Online-Studie zur aktuellen Corona-Krise durch. Haben Sie Lust, die Studie zu unterstützen?
Link: https://www.sozpsy.uni-jena.de/forschung

 

Quelle:

Jonas, E., McGregor, I., Klackl, J., Agroskin, D., Fritsche, I., Holdbrook, C.,...& Quirin, M. (2014). Threat and defense: From anxiety to approach. In J. M. Olson & M. P. Zanna (Eds.), Advances in Experimental Social Psychology (Vol. 49, pp. 219–286). San Diego, CA: Academic Press.

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