Der Mensch im Verteidigungsmodus: Wie unser Körper auf Bedrohungen reagiert

Im Leben sind wir laufend Bedrohungen ausgesetzt und möchten uns davor schützen. Insbesondere unser Körper hilft uns dabei, indem er in den “Verteidigungsmodus” wechselt. Wie der Körper sich an Bedrohung in Sekundenbruchteilen anpasst und auf Bedrohungen reagiert, war lange ein Geheimnis - das sich dank modernen Untersuchungsmethoden in den letzten Jahrzehnten immer mehr lüftet.

Wenn wir in eine unsichere Situation geraten oder uns sogar bedroht fühlen, gerät unser Körper in Stress und löst den sogenannten "Kampf- oder Flucht"-Modus aus (Cannon, 1927). Wie der Name bereits verrät, bereitet der Körper sich vor, sich zu wehren oder zu entkommen. Es gibt aber noch einen dritten Modus, den Modus der “Erstarrung”. Dieser Modus geht klassischerweise dem Kampf- oder Flucht-Modus voraus. Doch was hat die Wissenschaft darüber herausgefunden?

Bedrohung löst Stress aus (Roseboom et al., 2007). Wenn man sich nun diesen “Stress” als eine  hohe Welle vorstellt, gleitet diese in Höchstgeschwindigkeit durch den gesamten Körper und hinterlässt zahlreiche Veränderungen. Typische Veränderungen und Merkmale für den „Erstarrungs“-Modus sind angespanntere Muskeln, schnellere Atmung, man spricht weniger, Sinken der Körpertemperatur und weniger Herzschläge (Roelofs, 2017). Diese Anpassungen sollen dem Körper die notwendige Energie geben, zu handeln und sich aus dieser Situation zu befreien (Roelofs & Dayan, 2022). Doch warum schlägt das Herz langsamer?

Das menschliche Herz hat bekanntermaßen Blutgefäße, die entweder vom Herzen wegführen, genannt Arterien oder hinführen, genannt Venen. Fließt in diesen Gefäßen zu viel oder zu wenig Blut oder sind die Gefäßwände nicht mehr stabil, spricht man von einer Durchblutungsstörung, die viele Krankheiten verursachen und lebensgefährlich werden kann. Doch zurück zu Bedrohungssituationen: Bei Stress werden unsere Blutgefäße enger, dadurch fließt das Blut erstmal sehr viel schneller als sonst durch den Körper, damit unser Körper genug Sauerstoff und Nährstoffe für diese anstrengende Situation hat (Lassen, 1959). Durch das viele strömende Blut entsteht Druck und Raumnot in den Blutgefäßen, sodass die Wände gedehnt werden, um mehr Platz zu gewinnen. In diesen Wänden liegen allerdings ausgestreckte fandenartige Nervenfasern, genannt “Barorezeptoren”, die besonders druckempflindlich sind und daraufhin (Beschwerde-) Signale senden (Lacey & Lacey, 1970).

Diese Beschwerdesignale eilen dann über einen besonders langen Nerv, den Vagusnerv, und über den Glossopharyngeus hoch in Richtung Gehrn mit einer konkreten Nachricht: zu viel Blut strömt, das Herz muss langsamer schlagen! Das hat zur Folge, dass sich nun die Blutgefäße weiten und mehr Platz für das ganze Blut geschaffen wird. Durch diesen gewonnenen Raum kommt es zu einer verlangsamten Blutströmung und einem verringerten Druck, wodurch das Herz weniger pumpen muss, (Duschek & Reyes del Paso, 2007) und folglich weniger schlägt. Das erklärt womöglich, warum wir in Bedrohungssituationen erst eine Herzratenbeschleunigung, dann aber eine Herzratenverlangsamung sehen - innerhalb von Sekunden (Adenauer et al., 2010; Roelofs, 2017; Roelofs & Dayan, 2022; Steptoe & Sawada, 1989).

Interessanterweise passiert in diesem Zeitraum noch etwas anderes, das bis vor Kurzem nur bei Tieren messbar war. Normalerweise, wenn Menschen eine Weile stehen und man sie dabei genau beobachtet, sieht man, dass sie sich ganz leicht bewegen. Der Körper schwankt leicht von vorne nach hinten, von links nach rechts. Wie ein Pendel. Diese kleinen Bewegungen werden "Körperschwankungen" genannt und sind mit bloßem Auge kaum sichtbar. Spannend ist: gerade wenn wir uns bedroht fühlen, wird diese natürliche Körperschwankung entweder geringer oder setzt sogar ganz aus. Das ähnelt einer Erstarrung und wird deshalb in der Wissenschaft mit dem englischen Wort “freezing” bezeichnet. Was dabei eben besonders beachtet werden muss, “freezing”, bezeichnet sowohl die kleineren Körperschwankungen, als auch die gleichzeitig ablaufende Herzratenverlangsamung.

Im Labor wird das „Freezing“ der Herzrate mit Elektroden am Herzen gemessen und das „Freezing“ der Körperschwankung mit einem flachen, viereckigen Gerät am Boden, genannt “Balance Board” gemessen. Das „Balance Board“ hat hochsensible Sensoren, mit denen kleinste Veränderungen der Körperschwankungen im Millimeterbereich aufgezeichnet werden können, sobald ein Mensch draufsteht (Azevedo et al., 2005; Roelofs et al., 2010). Neueste Studienergebnisse zeigen, dass Freezing sehr wichtig und hilfreich für den Körper ist: es scheint eine Vorbereitungsphase für zukünftige Handlungen zu sein (Hashemi et al., 2019; Klaassen et al., 2021; Roelofs & Dayan, 2022). Demnach konnte in unterschiedlichen Studien gezeigt werden, dass Menschen, die stärker “freezen”, schneller und genauer reagiert haben (Gladwin et al., 2016; Hashemi et al., 2019). Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass besonders ängstliche Menschen durchschnittlich mehr freezen als weniger ängstliche und traumatisierte Menschen teilweise kaum freezen (Roelofs et al., 2010; Fragkaki et al., 2017). Wie „Freezing“ allerdings genau mit psychischen Erkrankungen zusammenhängt, dazu steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen.

Schlussfolgerung

Zusammengefasst kann man sagen, dass sich viele unterschiedliche Teile des menschlichen Körpers in Bedrohungssituationen anpassen, Signale senden, kommunizieren und dirigieren.  Besonders Freezing zeigt in diesen Bedrohungssituationen seine Effizienz. Der Körper versagt hier nicht, sondern stattet uns vielmehr mit den Mitteln aus, um angemessen zu reagieren und aus dieser Lage herauszukommen. Es handelt sich also um eine aktive, keineswegs passive Antwort – die es sich auch in den kommenden Jahren weiter lohnt zu erforschen.

Literaturverzeichnis

Adenauer, H., Catani, C., Keil, J., Aichinger, H., & Neuner, F. (2010). Is freezing an adaptive reaction to threat? Evidence from heart rate reactivity to emotional pictures in victims of war and torture. Psychophysiology, 47, 315-322. https://doi.org/10.1111/j.1469-8986.2009.00940.x

Azevedo TM, Volchan E, Imbiriba LA, Rodrigues EC, Oliveira JM, Oliveira LF, Lutterbach LG, Vargas CD. (2005) A freezing-like posture to pictures of mutilation. Psychophysiology, 42(3):255-60. https://doi.org/10.1111/j.1469-8986.2005.00287.x

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Hashemi, M. M., Zhang, W., Kaldewaij, R., Koch, S. B. J., Smit, A., Figner, B., Jonker, R., Klumpers, F., & Roelofs, K. (2021). Human defensive freezing: Associations with hair cortisol and trait anxiety. Psychoneuroendocrinology, 133, 105417. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2021.105417

Klaassen, F. H., Held, L., Figner, B., et al. (2021). Defensive freezing and its relation to approach–avoidance decision-making under threat. Sci Rep, 11, 12030. https://doi.org/10.1038/s41598-021-90968-z

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Roelofs, K., & Dayan, P. (2022). Freezing revisited: coordinated autonomic and central optimization of threat coping. Nat Rev Neurosci, 23(9), 568-580. https://doi.org/10.1038/s41583-022-00608-2

Roelofs, K., Hagenaars, M. A., & Stins, J. (2010). Facing Freeze: Social Threat Induces Bodily Freeze in Humans. Psychological Science, 21(11), 1575–1581. https://doi.org/10.1177/0956797610384746

Roseboom, P. H., Nanda, S. A., Bakshi, V. P., Trentani, A., Newman, S. M., & Kalin, N. H. (2007). Predator threat induces behavioral inhibition, pituitary-adrenal activation, and changes in amygdala CRF-binding protein gene expression. Psychoneuroendocrinology, 32(1), 44-55. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2006.10.002

Steptoe, A., & Sawada, Y. (1989). Assessment of baroreceptor reflex function during mental stress and relaxation. Psychophysiology, 26(2), 140-147. https://doi.org/10.1111/j.1469-8986.1989.tb03145.x