Drei Jahre COVID-Impfung: Was war dran an der Impfneiddebatte?
Ganz Deutschland gelb vor Neid: So sahen manche Medien die Situation zu Beginn der COVID-Impfkampagne, als der Impfstoff noch knapp war. Nun liegen erste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema „Impfneid“ vor – mit teils überraschenden Ergebnissen.
Wer erinnert sich noch an die Situation im Frühjahr 2021, als die Corona-Impfkampagne endlich Fahrt aufnahm? Gehörten Sie zu den glücklichen Personen, die einen frühen Impftermin ergattern konnten, oder mussten Sie lange auf die Impfung warten? Was löste es in Ihnen aus, wenn andere von ihrer Impfung erzählten?
Falls Sie in solchen Situationen einen schmerzhaften Stich verspürten, waren Sie damit nicht allein. Laut einer aktuellen Studie (Erz & Rentzsch, 2023) berichtete im Mai 2021 knapp die Hälfte der ungeimpften Teilnehmenden einer Online-Umfrage, manchmal bis sehr oft Impfneid zu erleben. Passend dazu berichteten auch 30% der Geimpften, den Eindruck zu haben, dass Ungeimpfte neidisch auf sie waren. An der nicht repräsentativen Umfrage hatten über tausend Personen im Alter von 18 bis 88 Jahren teilgenommen.
Die Wissenschaftlerinnen stellten sich außerdem die Frage, ob es sich beim Phänomen „Impfneid“ tatsächlich um Neid im eigentlichen Sinn handelte. Der wissenschaftlichen Definition zufolge ist Neid ein unangenehmes oder sogar schmerzhaftes Gefühl, das entsteht, wenn man sich mit einer anderen Person vergleicht, die eine Sache oder Eigenschaft besitzt, die man sich für sich selbst wünscht (Smith & Kim, 2007). Wenn eine Person die Impfstoffverteilung als ungerecht bewertete, ohne dabei auf emotionaler Ebene einen schmerzhaften Stich zu verspüren, erlebte sie also streng genommen gar keinen Impfneid, auch wenn sie ihre Erfahrung möglicherweise als „Impfneid“ bezeichnete. Um dieser Frage nachzugehen, untersuchten die Wissenschaftlerinnen daher, ob Impfneid mit ähnlichen Eigenschaften zusammenhing wie generischer Neid. Dabei stellte sich heraus, dass besonders solche Menschen Impfneid erlebten, die auch in anderen Situationen eine starke Tendenz zu Neid hatten und unter einem niedrigen Selbstwert litten. Impfneid hing weiterhin mit sozialer Vergleichsorientierung (= Tendenz, sich mit anderen zu vergleichen) und Opfersensibilität (= besondere Sensibilität für Situationen, in denen man anderen gegenüber benachteiligt wird) zusammen. Auffällig war dabei, dass Impfneid stärker mit Opfersensibilität zusammenhing als mit einer allgemeinen Neigung zu Neid im Sinne einer schmerzhaften Emotion. Die Forscherinnen schlossen daraus, dass es sich bei Impfneid um eine Mischung aus der Emotion Neid und einer rein kognitiven Bewertung der Situation als ungerecht handelte.
In der Studie sollten sich die ungeimpften Teilnehmenden außerdem in eine fiktive Situation hineinversetzen, in der sie von der Impfung einer Bekannten erfuhren. Elisabeth M., um die es dabei ging, wurde dabei entweder als ältere Person beschrieben, die im Gesundheitssektor arbeitet, oder als jüngere Person, die im Homeoffice arbeitet und den frühen Impftermin nur durch gute Kontakte zu ihrer Hausärztin erhalten hatte. Die Teilnehmenden bewerteten anschließend, wie neidisch sie auf Elisabeth M. waren. Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmenden mehr Impfneid empfanden, wenn Elisabeth M. als junge Frau im Homeoffice beschrieben wurde. Impfneid scheint also eng damit zusammenzuhängen, inwieweit wir das Gefühl haben, dass die andere Person die Impfung nicht verdient hat. Solche Zusammenhänge mit der sogenannten „deservingness“ sind charakteristisch für Neid (van de Ven et al., 2012).
Die Wissenschaftlerinnen untersuchten zudem, mit welchen Erfahrungen und Einstellungen in Bezug auf die Coronapandemie der Impfneid in Zusammenhang stand. Dabei zeigte sich überraschenderweise, dass Impfneid kaum mit objektiven Faktoren wie der Anzahl der Infektionen im Bekanntenkreis oder finanziellen Einbußen durch die Pandemie zusammenhing. Maßgeblich für die Frage, ob eine Person Impfneid empfand, war eher die subjektiv empfundene Bedrohung durch Covid-19: Befragte, die sich besonders viele Sorgen um ihre eigene Gesundheit oder die Gesundheit nahestehender Menschen machten oder sich durch die Pandemie stark eingeschränkt fühlten, waren daher besonders empfänglich für Impfneid.
Während manche Kommentator*innen vor den Gefahren von Impfneid warnten, zeigte sich in der Umfrage kein Hinweis auf eine Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Befragte, die häufig Impfneid empfanden, standen Privilegien für Geimpfte nicht kritischer gegenüber als andere und waren motivierter, sich schnell impfen zu lassen. Impfneid hat möglicherweise also sogar positive Effekte, die man sich zunutze machen könnte.
Eine weitere gute Nachricht zum Schluss: Impfneid nahm mit zunehmender Verfügbarkeit des Impfstoffs drastisch ab und war bei der Nachbefragung im Herbst 2021 schon kein Thema mehr.
Literaturverzeichnis
Erz, E., & Rentzsch, K. (2023). Vaccine envy during the COVID-19 pandemic. International Journal of Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/ijop.12929
Smith, R. H., & Kim, S. H. (2007). Comprehending envy. Psychological Bulletin, 133(1), 46–64. https://doi.org/10.1037/0033-2909.133.1.46
van de Ven, N., Zeelenberg, M., & Pieters, R. (2012). Appraisal patterns of envy and related emotions. Motivation and Emotion, 36(2), 195–204. https://doi.org/10.1007/s11031-011-9235-8
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