Mehr als ‘Connecting the Dots’? Was Netzwerkanalysen abbilden können

Nadal verliert gegen Federer. Romeo küsst Julia. Magnete ziehen Eisen an. Was haben diese drei Phänomene miteinander gemeinsam? Auf den ersten Blick vielleicht nichts. Doch wenn man sich die Mathematik zu Nutze macht, lassen sich alle drei als Beziehung ausdrücken und in einem Netzwerk darstellen. So lassen sich komplexe Zusammenhänge ergründen.

communication networkMan muss zugeben: Die oben genannten Beispiele stellen noch keine allzu “komplexen” Netzwerke dar, weil hier jeweils genau eine Beziehung zwischen zwei Knoten herrscht. Alle Netzwerke beinhalten jedoch diese beiden Grundformen: Beziehungen und Knoten. 

Forschende beschäftigen sich immer intensiver damit, wie diese Netzwerke funktionieren. Doch was sind eigentlich Netzwerke? Netzwerke finden sich überall—beim Linienplan von Bussen oder bei den Freundschaftsnetzwerken unserer virtuellen Alter Egos. Auch in den Wissenschaften gibt es vielfältige Anwendungsgebiete von Netzwerkmodellen: In den Sportwissenschaften können Forschende mit Netzwerken zeigen, wer im Tennis gegen wen gespielt und gewonnen hat (Radicchi, 2011). In den Literaturwissenschaften machen es Netzwerke möglich, darzulegen, welche Charaktere in Shakespeares “Romeo und Julia” gemeinsam auftauchen und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. In der Lernforschung nutzen wir Netzwerke, um zu untersuchen, wie verschiedene Begriffe und Konzepte beim Lernen zusammenhängen. In der Klinischen Psychologie ermitteln Forschende mit Netzwerken beispielsweise, wie verschiedene Symptome einer Depression zusammenspielen. 

Die Knoten in diesen Netzwerken sind verschieden: Das können einzelne Personen wie Tennisspielende, fiktive Charaktere wie Romeo und Julia, Begriffe zu einem übergeordneten Themengebiet wie Magnet und Eisen aus dem Physikunterricht oder Symptome einer Depression wie gedrückte Stimmung und Interessenverlust sein. Stehen die Knoten in Beziehung zueinander, werden sie verbunden—beispielsweise, wenn Roger Federer gegen Rafael Nadal gewinnt, wenn Romeo und Julia miteinander flirten, wenn das Zusammenspiel von Magnet und Eisen besprochen wird und wenn gedrückte Stimmung zu Interessenverlust führt. 

Stellt man diese Netzwerke graphisch dar, ergibt sich ein Bild der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Knoten. Darüber hinaus kann man auch etliche Größen berechnen: Einige gängige Maße der Netzwerkanalyse sind Dichte, Vernetzungsgrad und Stärke. Die Dichte drückt aus, wie viele Verbindungen—im Vergleich zu den theoretisch möglichen—im Netzwerk tatsächlich vorhanden sind. Der Vernetzungsgrad sagt aus, wie viele eingehende oder ausgehende Verbindungen bestimmte Knoten haben. Er bringt also zum Ausdruck, wie vernetzt diese Knoten mit dem Netzwerk sind. Die Stärke einer Verbindung ergibt sich, wenn man im Netzwerk nicht nur bewertet, ob zwei Knoten verbunden sind, sondern auch mit welcher Qualität, z.B.: Nadal verlor gegen Federer 16 Mal; Romeo küsst Julia im leidenschaftlichsten Kuss der Literaturgeschichte. 

Vielleicht ist Ihnen auch aufgefallen, dass einige Verbindungen das Gleiche bedeuten, egal in welche Richtung sie gehen (z.B. “Julia küsst Romeo” und “ Romeo küsst Julia”), während andere Verbindungen in jeder Richtung eine andere Bedeutung haben (z.B. “Nadal verlor gegen Federer” vs. “Federer verlor gegen Nadal”). Deshalb unterscheidet man in der Netzwerkanalyse ungerichtete Verbindungen, die in beide Richtungen das Gleiche bedeuten, und gerichtete Verbindungen, die Unterschiedliches bedeuten.

Was können Forschende nun mit Netzwerken herausfinden? Besonders die beiden Beispiele zu Netzwerken von Begriffen und Symptomen sind typisch für die Psychologie. In der Lernforschung wird untersucht, wie sich Begriffsnetzwerke von Lernenden über die Zeit verändern. Ein zentrales Ergebnis ist, dass die Begriffsnetzwerke beim Lernen nicht nur größer werden, sondern auch ihre Struktur ändern und andere Konzepte an Wichtigkeit gewinnen (Thurn et al., 2021). In der Klinischen Psychologie untersuchen Forschende, wie Symptome in einem Netzwerk zusammenwirken und einander hervorrufen, wie Eiko Fried auch in diesem In-Mind-Beitrag beschreibt. Ein Ergebnis dieser Forschung lautet, dass sich Symptomnetzwerke zwischen verschiedenen Gruppen und Kulturen unterscheiden können (Schlechter et al., 2021).

Insgesamt steckt die Netzwerkanalyse in der Psychologie zwar noch in den Kinderschuhen, doch es bieten sich breite Anwendungsmöglichkeiten und Potenzial, tiefer in die Zusammenhänge menschlichen Erlebens und Verhaltens vorzudringen.

Quellen:

Radicchi, F. (2011). Who is the best player ever? A complex network analysis of the history of professional tennis. PloS one, 6(2), e17249. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0017249

Schlechter, P., Wilkinson, P. O., Knausenberger, J., Wanninger, K., Kamp, S., Morina, N., & Hellmann, J. H. (2021). Depressive and anxiety symptoms in refugees: Insights from classical test theory, item response theory and network analysis. Clinical Psychology & Psychotherapy, 28(1), 169-181. https://doi.org/10.1002/cpp.2499

Thurn, C. M., Hänger, B., & Kokkonen, T. (2020). Concept mapping in magnetism and electrostatics: Core concepts and development over time. Education Sciences, 10(5), 129. https://doi.org/10.3390/educsci10050129

 

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