Ständig am Bildschirm - ist das Computersucht?

Spätestens seit der offiziellen Anerkennung von Computerspielsucht als “Gaming Disorder” durch die WHO machen sich Eltern und Angehörige Sorgen, wie viel Spielen noch unbedenklich sein kann. Dabei ist die reine Spielzeit gar kein Kriterium - wichtig ist die Kontrolle und der Einfluss des Computerspielens auf das restliche Leben.

Fornite GamerEs kann beängstigend sein, wenn sich die Freizeit von Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen zunehmend online und vor dem Bildschirm abspielt. Es ist aber beileibe kein neues Phänomen, dass eine auftauchende Technologie Alltag und Freizeitverhalten verändert. Fernsehen, Theater, selbst Bücher haben in der Vergangenheit ähnliche Besorgnis ausgelöst.

Studien zeigen, dass die meisten NutzerInnen ihren Spiel- und Internetkonsum sehr gut unter Kontrolle haben. Lediglich 2-4 % der Spielenden werden in wissenschaftlichen Untersuchungen als süchtig eingestuft (Sugaya et al., 2019).

Deshalb ist ein ruhiger und gelassener Umgang mit dem Thema wichtig - das generelle Pathologisieren eines so verbreiteten Hobbys würde mehr Probleme schaffen, als es lösen könnte.

Normal vs. Süchtig

Es wird oft geglaubt, dass die reine Spielzeit ein Hinweis auf eine Suchtgefährdung sei. Ganz im Gegenteil dazu verwenden ExpertInnen (Illy, 2020) wie auch die WHO andere Kriterien für die Unterscheidung zwischen “normalem” Spielen und einer Computerspielsucht.

Das erscheint auch plausibel. Ganz grundsätzlich unterscheidet sich jede psychische Störung von nicht pathologischem Verhalten in einem zentralen Merkmal: Unter einer psychischen Störung leidet jemand - entweder der/die Betroffene selbst, sein/ihr Umfeld oder, ganz häufig, auch beide.

Die Kriterien für eine Computerspielsucht ergeben sich aus den Folgen

Leiden entsteht durch Computerspiele nur dann, wenn das Spielen wichtige Bereiche des Alltags verdrängt und bestehende Hobbys und Freizeitaktivitäten verhindert.

Dann entstehen Probleme in der Schule oder Universität, in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz. Das soziale Umfeld wird aufgegeben, der Rückzug führt zu Einsamkeit und Isolation. Natürlich führt das zu massiven Konflikten, vor allem in der Familie, was die Situation wiederum verschlimmert - schließlich verbleiben Computer und Konsole als einziger Rückzugsort.

Konsequenterweise hat die WHO Kriterien festgelegt, die genau auf diese ungünstige Entwicklung abzielen:

1. Computerspielsüchtige verlieren die Kontrolle über ihr Spielverhalten. Sie schaffen es nicht, Häufigkeit oder Umfang zu begrenzen, selbst wenn sie es selbst wollen.

2. Computerspiele werden zum Mittelpunkt des Lebens - sie erhalten mehr Priorität als Hobbys, Freunde und alles, was bisher wichtig war. 

3. Betroffene spielen weiter, auch wenn die negativen Konsequenzen sichtbar werden.

Begleiterkrankungen verstärken süchtiges Verhalten

In fast allen Fällen bleibt eine Spielsucht nicht das einzige Problem. Über 90 % der Computerspielabhängigen leiden unter einer zusätzlichen psychischen Erkrankung (Lo et al., 2005). Am häufigsten sind Depressionen, soziale Ängste und ADHS (Gentile et al., 2011). 

Das verschlechtert die Prognose, denn die Betroffenen geraten schnell in den Teufelskreis der Sucht: Das Spielen ist eine schnelle vermeintliche Lösung für das Problem der depressiven Gefühle und ein kurzfristiger Rückzugsort vor angstauslösenden Situationen. Die eigentlichen Probleme werden dadurch jedoch nicht gelöst.

Wenn Computerspielen seinen Platz hat

Das macht deutlich, wie groß der Unterschied zwischen nicht pathologischem und suchtgetriebenem Spielen ist. Während für die unbedenklich Spielenden Computer, Konsole und Smartphone eine Bereicherung sein können, ein Lückenbüßer für Langeweile und Regentage oder ein Abenteuer abseits des echten Lebens, entwickelt sich das Spiel für Abhängige als Flucht vor der Realität.

Wann man eingreifen muss

Wenn ComputerspielerInnen ihr ganz normales Leben weiterführen, weiterhin ihre Freunde treffen, in den Sportverein gehen und mit Schule und Job zurechtkommen, sind auch lange Stunden vor dem Bildschirm kein Problem. Wenn das Spielen jedoch das Einzige ist, was noch Spaß macht, oder wenn es die einzige Strategie gegen Probleme, Traurigkeit oder Einsamkeit ist, muss man eingreifen.

Untersuchungen zeigen, dass eine Computerspielsucht in 85 % der Fälle nicht von allein wieder verschwindet. Je früher eingegriffen wird, desto besser - aber auch in fortgeschrittenen Fällen ist die Prognose gut. In einer Therapie können die Betroffenen lernen, wieder einen gesunden Umgang mit Computer und Smartphone zu finden, ohne ganz auf digitale Medien verzichten zu müssen.

In leichten Fällen helfen Ratgeberbücher mit Tipps zum richtigen Ansprechen und Vereinbaren von Regeln. Professionelle Hilfe bieten Suchtberatungsstellen und Online-Beratungen von psychologischen Fachkräften, die sich auf Computer- und Internetsucht spezialisiert haben. Wer mehr über das Thema Computer-Spielsucht erfahren möchte, findet auf dieser Website des Autors zahlreiche weiterführende Informationen!

 

Quellen:

Gentile, D. A., Choo, H., Liau, A., Sim, T., Li, D., Fung, D., & Khoo, A. (2011). Pathological video game use among youths: a two-year longitudinal study. Pediatrics, 127(2), e319–e329. https://doi.org/10.1542/peds.2010-1353

Illy, D. (2020). Praxishandbuch Videospiel- und Internetabhängigkeit. Elsevier.

Sugaya, N., Shirasaka, T., & Takahashi, K. (2019) Bio-psychosocial factors of children and adolescents with internet gaming disorder: a systematic review. BioPsychoSocial Medicine, 13(3). https://doi.org/10.1186/s13030-019-0144-5

Lo, S. K., Wang, C. C., & Fang, W. (2005). Physical interpersonal relationships and social anxiety among online game players. CyberPsychology & Behavior, 8(1), 15–20. https://doi.org/10.1089/cpb.2005.8.15

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