Auf die Haltung kommt es an!
Eine positive Einstellung zum Alter senkt auch bei genetischer Vorbelastung das Risiko, an Demenz zu erkranken.
Etwa ein Viertel der Bevölkerung hat ein erhöhtes Risiko, an Alzheimer-Demenz zu erkranken. Der Grund dafür liegt in unseren Genen, genauer gesagt in einem Gen mit dem Namen ApoE. Es enthält den Bauplan für das gleichnamige Apolipoprotein E – ein Protein, das unter anderem Cholesterin zu den Nervenzellen im Gehirn transportiert, wobei diese Zellen wiederum zum Signalaustausch benötigt werden. Das Gen kann in unterschiedlichen Varianten vorliegen, wobei die bei etwa 25% der Bevölkerung vorkommende Variante ApoE e4 als einer der größten Risikofaktoren für Demenz im höheren Lebensalter gilt. Dennoch bleiben viele TrägerInnen der ApoE - e4 -Variante vor dem Vergessen verschont. Denn unser Schicksal ist nicht allein an unsere Gene gebunden. Es hängt auch maßgeblich von unserer Umwelt und unserem Lebensstil ab – und von unseren Einstellungen, wie eine Forschungsgruppe um die US-amerikanische Psychologieprofessorin Becca Levy herausgefunden hat.
Levy und ihre KollegInnen untersuchten über vier Jahre hinweg eine Stichprobe von 4765 US-AmerikanerInnen, die zu Beginn der Studie mindestens 60 Jahre alt und bis dato nicht an Demenz erkrankt waren - darunter 1250 Personen mit der Risikogenvariante ApoE e4. Während des Studienzeitraums ermittelten die ForscherInnen nicht nur die geistige Leistungsfähigkeit ihrer Teilnehmenden, sondern befragten sie auch zu ihrer Einstellung zum Älterwerden. Dazu sollten die StudienteilnehmerInnen angeben, ob sie Aussagen wie „Je älter ich werde, desto nutzloser fühle ich mich“ zustimmten oder eher nicht. So wollte Levy den Zusammenhang zwischen den Altersüberzeugungen ihrer TeilnehmerInnen und ihrem Demenzrisiko untersuchen – unter Berücksichtigung weiterer, möglicherweise Einfluss nehmender Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung, Ethnie, geistige Leistungsfähigkeit, kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes und, ob sie Träger der ApoE - e4 -Risikovariante waren oder nicht.
Am Ende des Studienzeitraums nahmen die ForscherInnen zunächst ihre gesamte Stichprobe unter die Lupe: Wer war in den vergangenen 4 Jahren an Alzheimer erkrankt? Und hatten die positiven oder negativen Altersüberzeugungen der TeilnehmerInnen einen Einfluss darauf? Wie die ForscherInnen vermutet hatten, entwickelten jene ProbandInnen, die dem Alter gegenüber positiv eingestellt waren, während des Studienzeitraums seltener eine Demenz als ihre negativ eingestellten AltersgenossInnen. Für die positiv Denkenden ermittelten die ForscherInnen ein Demenzrisiko von 2,6 %, während das der negativ Eingestellten bei 4,6 % lag.
Um herauszufinden, ob eine positive Haltung auch bei genetischer Vorbelastung durch ApoE e4 vor Demenz schützen kann, untersuchten Levy und ihre KollegInnen die 1250 TrägerInnen der Risikogenvariante noch einmal genauer. Ihr Mut machender Befund: Innerhalb der Gruppe der ApoE - e4-TrägerInnen war das Erkrankungsrisiko von jenen mit positiven Altersüberzeugungen (2,7%) verglichen mit dem der negativ Eingestellten (6,14%) um etwa die Hälfte reduziert – und damit fast genauso gering wie das der Testpersonen ohne Risikogenvariante. Eine Erklärung für den Risikorückgang könnte der verminderte Stresspegel sein, der mit einer positiven Einstellung einhergeht.
Eine mögliche Strategie, um Demenz vorzubeugen, könnte also sein, der Zeit jenseits der Rente – soweit möglich – optimistisch entgegen zu blicken und sie mit schönen und sinnstiftenden Aktivitäten zu füllen. Das legt auch eine Studie von WissenschaftlerInnen der Florida State University mit über 10.000 TeilnehmerInnen nahe. Die Psychologin Angelina Sutin konnte gemeinsam mit ihren Kollegen Yannick Stephan und Antonio Terracciano zeigen, dass eine Aufgabe, ein Sinn im Leben – unabhängig von der genetischen Ausstattung – das Demenzrisiko um 30% verringert (Sutin, Stephan & Terracciano, 2018). Einen Sinn im Leben zu sehen, so schreiben Sutin und ihre Kollegen, könne dabei helfen, psychologische Ressourcen aufzubauen, die kognitiven Beeinträchtigungen entgegenwirken. Wer auch im hohen Alter noch aktiv nach Sinn strebt, sich zum Beispiel gesellschaftlich engagiert, kann außerdem zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen und aufrechterhalten und so Einsamkeit, einem Risikofaktor für Demenz, vorbeugen (Sutin, Stephan, Luchetti & Terracciano, 2018).
Sinnstiftende Aufgaben und eine positive Einstellung zum Alter können also sogar bei genetischer Vorbelastung das Demenzrisiko senken – bis zu dem Maße, dass die Macht unserer Gedanken den Einfluss unserer Gene ausgleicht. Altersüberzeugungen, so Levy und ihre KollegInnen, formen sich schon in jungen Jahren und bleiben üblicherweise über die Lebensspanne hinweg stabil – sind aber durch Interventionen veränderbar. Dabei liegt die Aufgabe, eine positive Einstellung zum Älterwerden zu fördern, nicht allein bei jedem Einzelnen – auch wir als Gesellschaft tragen Verantwortung dafür, Vorurteile gegenüber dem Altern abzubauen, ältere Menschen nicht aufs Abstellgleis zu schieben und jenen Faktoren entgegen zu wirken, die negative Altersüberzeugungen entstehen lassen.
Quellen:
Levy, B. R., Slade, M. D., Pietrzak, R. H. & Ferrucci, L. (2018). Positive age beliefs protect against dementia even among elders with high-risk gene. PLoS One, 13(2), e0191004.
Sutin, A. R., Stephan, Y. & Terracciano, A. (2018). Psychological well-being and risk of dementia. International Journal of Geriatric Psychiatry, 33(5), 737-747.
Sutin, A. R., Stephan, Y., Luchetti, M. & Terracciano, A. (2018). Loneliness and Risk of Dementia. The Journals of Gerontology: Series B, gby112, https://doi.org/10.1093/geronb/gby112
Bildquelle:
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