Konfliktmanagement – Warum die Bedrohung des Selbst die zwischenmenschliche Perspektivenübernahme und Empathie stört und welche psychologischen Prozesse und Mechanismen mildernd wirken

„Es ist wichtig, empathisch auf andere einzugehen und deren Perspektive zu übernehmen“ - so ähnlich könnte eine Empfehlung in einer Fortbildung zu Konfliktmanagement lauten. Empathie beinhaltet das Mitfühlen mit anderen. Perspektivenübernahme hingegen beschreibt die kognitive Repräsentation der Wünsche, Ziele und Intentionen anderer. Beide Aspekte ermöglichen es, Einstellungen, Verhalten und Interaktionen anderer besser nachzuvollziehen. Es erscheint intuitiv plausibel, dass sich das zwischenmenschliche Miteinander im Hinblick auf beispielsweise Hilfeverhalten, Vergebung oder auch Vorurteile - u.a. auch in verhandlungsbezogenen Kontexten - verbessert, wenn man die Perspektive bestimmter Personen(gruppen) übernimmt oder sich diesen gegenüber empathisch verhält. Paradoxerweise können Perspektivenübernahme und Empathie jedoch auch eindeutig zu negativen Konsequenzen des sozialen Miteinanders führen, wie etwa Aggression oder verstärkter Stereotypisierung (Schneider et al., 2019). Psychologische Forschung erklärt diesen vermeintlichen Widerspruch durch die Bedrohung des Selbst (Sassenrath et al., 2016), im Speziellen des objektiven Selbst (James, 1890).

Ein prominentes Modell in der psychologischen Forschung (Sassenrath et al., 2016) betont, dass  Perspektivenübernahme zur Bedrohung des Selbst führen kann, was die Überlappung des eigenen Selbst mit dem Selbst des anderen behindert oder verringert. Dies führt dann gehäuft zu Missverständnissen, defensivem Verhalten, Wettbewerbsdenken oder Aggressionen.

Erhöhte Perspektivenübernahme und Empathie:

1) machen deutlich, dass die angesteuerte Zielperson/-gruppe die eigene Identität infrage stellt oder widerlegt und sie dadurch in schlechtem Lichte darstellt. Unter diesen Bedingungen entsteht eine Bedrohung der eigenen Motivationen und Ziele (z.B. Empathie für AfD-PolitikerInnen bezüglich eines neuen restriktiven Migrationsgesetzes für Deutschland könnte dazu führen, dass eigene beispielsweise eher weltoffene Einstellungen und entsprechende Ziele und Motivationen als bedroht wahrgenommen werden);

2) mit der angesteuerten Zielperson/-gruppe birgt die Gefahr der negativen Selbstbewertung (z.B. Perspektivenübernahme für Eltern könnte negative Meta- Stereotype über die eigene Berufsgruppe der LehrerInnen hervorrufen, beispielsweise wie „LehrerInnen haben zu viel Freizeit“);

3) machen die Wünsche, Ziele und Emotionen der Anderen deutlich, was zur Wahrnehmung von Wettbewerb und Konkurrenz um knappe Ressourcen mit der Zielperson/-gruppe führen kann (z.B. Empathie mit neue LebensgefährtInnen von Ex-PartnerInnen könnte zur Wahrnehmung des finanziellen Ressourcenverlusts führen).

In Erweiterung zu Sassenrath´s Modell kann erhöhte Perspektivenübernahme und Empathie auch:

4) deutlich machen, dass geteilte Normen verletzt wurden (z.B. Perspektivenübernahme für einen dominanten, durchsetzungsfähigen Mann, der gesteht, dass er als Hausmann arbeiten möchte, könnte die geteilte Norm des „Brotverdieners“ verletzten - der Backlash-Effekt. Oder: Perspektivenübernahme für eine ARD-Journalistin, die unter KollegInnen ausplaudert, dass sie plant, demnächst Fake-News in den Umlauf zu bringen, könnte die geteilte Norm der seriösen Berichterstattung verletzten - der Black Sheep-Effekt).

 

Sasserath Modell

Zahlreiche psychologische Prozesse und Mechanismen können aber dennoch helfen, positive Folgen der Perspektivenübernahme und der Empathie zu gewährleisten (und sollten deswegen auch in der expliziten Kommunikation berücksichtigt werden):

1) positive Interdependenzen zwischen Selbst und anderen (Individuen, Gruppen) hervorheben: Dabei geht es darum, herauszuarbeiten, dass Ziele tatsächlich gemeinsame Ziele sind und sich nur erreichen lassen, wenn Kooperation statt Konkurrenz zwischen einem Selbst und anderen vorherrscht.

2) das eigene Selbst bekräftigen: Hier geht es darum, sich an Situationen zu erinnern, in denen man selbst durchsetzungsfähig, selbstbestimmt, kompetent, resilient und voller innerer Kraft agiert hat (und deswegen auch jetzt diese Eigenschaften hat). Diese Art der Bewusstwerdung bekräftigt die handlungsfähige Seite des Selbst und macht uns deswegen zugänglicher für andere. 

3) paradoxes und übertriebenes Denken: Hierbei geht es darum, versuchsweise solch übertriebene oder absurde Gedanken bezüglich der potenziell bedrohlichen Zielperson/-gruppe anzuregen, die dann so lächerlich und unglaublich erscheinen, dass sie sich damit selbst widerlegen. Dieser Mechanismus betont die ´Menschlichkeit´ des anderen und stärkt eine Kommunikationsposition auf Augenhöhe.

 

Viele weitere Mechanismen werden aktuell aktiv erforscht, beispielsweise a) das aktive Nachfragen, Zuhören und Bestätigen (statt Vermuten), b) das Verstehen der Veränderungsfähigkeit von Individuen und Gruppen und c) die Stärkung der Zielrelevanz von Perspektivenübernahme und Empathie.  

Zuletzt sollte auch deutlich sein, dass Konflikte zwischen einem Selbst und anderen unter bestimmten Umständen auch produktiv sein können, um auf bisher ignorierte Wissenslücken oder gesellschaftliche Notstände hinzuweisen. Nichtsdestotrotz dürfte es auch unter diesen Umständen nützlich sein, die psychologischen Prozesse zur Reduktion der Bedrohung des Selbst zu beachten. So könnte beispielsweise der Generationenvertrag ein hilfreiches Element zur Herausstellung für die positive Interdependenz von Konfliktparteien darstellen, wenn es um aktuellen Klimademonstrationen (z.B. #FridaysForFuture) geht.

 

 

Quellen:

James, W. (1890). Principles of Psychology, Vol. II. New York: Henry Holt.

Sassenrath, C., Hodges, S. D., & Pfattheicher, S. (2016). It’s all about the self: When perspective taking backfires. Current Directions in Psychological Science, 25(6), 405-410. doi: 10.1177/0963721416659253

Schneider, D., Klimecki,O., Burgmer, P., & Kessler, T. (2019). Social Cognition. In: V. Zeigler-Hill, T. K. Shackelford (Eds.), Encyclopedia of Personality and Individual Differences. Springer International Publishing AG

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