Mit bewusster Freizeitgestaltung zu mehr Wohlbefinden im Home-Office
Schon zu Beginn der Corona- Pandemie haben ExpertInnen empfohlen, den eigenen Alltag (soweit möglich) mit vielseitigen, herausfordernden und aktiven Tätigkeiten zu füllen, um gut durch den Lockdown zu kommen. Auch bei In-Mind haben Julia Krasko und Sophia Terwiel untersucht, welche Tätigkeiten während der Corona-Krise zu mehr Wohlbefinden führen können. Nach mittlerweile über einem Jahr, in dem Covid-19 die Welt in Atem hält, haben sich zahlreiche Studien mit den Auswirkungen der Pandemie auf unsere Psyche beschäftigt – auch damit, wie zum Beispiel eine bewusste Freizeitgestaltung dabei helfen kann, mit dieser nach wie vor besonderen Lage umzugehen. Was können wir aus diesen Studien lernen - auch für das Home-Office nach der Pandemie?
Nachdem die Weltgesundheitsorganisation im März letzten Jahres die Ausbreitung von Covid-19 als Pandemie eingestuft hatte, reagierten viele Länder mit landesweiten Lockdowns. Home-Office ist für viele Menschen seither zur neuen Normalität geworden und wird einigen Arbeitnehmenden trotz der anstehenden Impfungen wohl auch in Zukunft in Teilen erhalten bleiben. Diese Entwicklung bringt zwar mehr Flexibilität. Gleichzeitig können hohe Anforderungen im Job und im Privatleben aber zu emotionaler Erschöpfung im Home Office führen (Abdel Hadi, Bakker & Häusser, 2021). Was können wir tun, um uns bei der Arbeit zu Hause trotz vielseitiger Herausforderungen (und eingeschränkter Freizeitmöglichkeiten) wohlzufühlen?
Mit dieser Frage haben sich Psychologen der Universitäten von Gießen und Rotterdam beschäftigt. In einer Studie nahmen sie während des ersten Lockdowns dabei das sogenannte „Leisure Crafting“ in den Blick, was übersetzt so viel wie „aktive oder bewusste Freizeitgestaltung“ bedeutet. Unter Leisure Crafting versteht man, die eigene Freizeit mit Aktivitäten zu füllen, die es erlauben, sich selbst Ziele zu setzen, Verbindungen zu anderen Menschen aufzubauen, zu lernen und sich persönlich zu entwickeln (Petrou & Bakker, 2016). Dazu zählt zum Beispiel, eine neue Sprache oder Sportart zu erlernen. Führen solche herausfordernden Aktivitäten in der Freizeit nicht erst recht zu Überlastung? Oder kann eine aktive Freizeitgestaltung auch Entlastung im Home-Office bringen?
Um diese Frage zu beantworten, baten die Psychologen 178 deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zuvor im Büro tätig gewesen waren und mit Beginn der Pandemie ins Home-Office wechseln mussten, eine Woche lang ein Tagebuch zu führen. Dabei sollten sie täglich Angaben zu ihren Anforderungen im Job (z.B. Zeitdruck), solchen im Privatleben zu Hause und zu ihrer Freizeitgestaltung machen: Wie oft mussten sie eine Aufgabe, an der sie gerade gearbeitet hatten, heute unterbrechen, weil etwas Wichtiges dazwischengekommen war? Wie oft hatten sie Dinge des Alltags in Eile erledigen müssen? Und hatten sie heute versucht, einer herausfordernden Aktivität außerhalb der Arbeit nachzugehen? Zusätzlich baten die Forscher die Befragten, täglich ihre emotionale Erschöpfung und ihre Arbeitsleistung einzuschätzen. Auch, wie stark sich die Befragten gedanklich mit Corona auseinandergesetzt hatten, wollten die Psychologen erfahren.
Ihr Ergebnis: Wer an einem Tag hohen Anforderungen im Job oder im Privaten ausgesetzt war, fühlte sich an diesem Tag auch emotional erschöpfter und weniger produktiv. Auch wer stärker über Covid-19 ins Grübeln gekommen war, war emotional erschöpfter. Dahingegen konnten die Psychologen eine negative Korrelation von Leisure Crafting und emotionaler Erschöpfung beobachten: Wer seine Freizeit aktiver gestaltete, fühlte sich emotional auch weniger erschöpft. Die Ergebnisse basieren zwar auf der Selbstauskunft der Befragten, und Unterschiede zwischen Männern und Frauen oder Personen mit und ohne Kinder konnten aufgrund der geringen Stichprobengröße zudem nicht gesondert betrachtet werden – dennoch deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine aktive Freizeitgestaltung Zustände emotionaler Erschöpfung mindern und damit unser Wohlbefinden steigern kann. Obwohl es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, auch noch außerhalb der Arbeit nach Herausforderungen zu suchen, sind es gerade solche Aktivitäten, die uns dabei helfen können, uns von unserer Arbeit abzugrenzen und Kompetenz und Kontrolle zu erleben. Das ist nicht nur für jede(n) Einzelne(n) von uns interessant. Auch Unternehmen, die darüber nachdenken, Heimarbeit zum Teil auch nach der Pandemie beizubehalten, könnten ihre MitarbeiterInnen bei einer aktiven Freizeitgestaltung unterstützen, um sie gesund und leistungsfähig zu halten.
Anstatt Serien zu schauen oder uns von sozialen Medien berieseln zu lassen, sollten wir ab und an also auch kreativ werden oder etwas Neues ausprobieren – egal, ob mit dem Stift oder dem Kochlöffel in der Hand, der Yoga-Matte oder einem neuen Spiel unter dem Arm. Gegen die Nutzung sozialer Medien spricht übrigens auch, dass sich eine intensive Nutzung negativ auf unsere mentale Gesundheit auswirken kann - gerade in der aktuellen Lage. So deutet eine Studie von Forschenden aus Deutschland und Italien darauf hin, dass eine erhöhte Nutzung sozialer Medien als Informationsquelle zu Covid-19 zu mehr Stress und einem erhöhten Belastungserleben führen kann (Brailovskaia, Cosci, Mansueto & Margraf, 2021). Die bessere Alternative zu den sozialen Medien ist Bewegung. So fand dieselbe Forschungsgruppe heraus, dass ein negativer Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und wahrgenommener Belastung durch Covid-19 besteht (Brailovskaia, Cosci, Mansueto, Miragall, Herrero et al., 2021). Ihre Daten zeigten außerdem, dass Bewegung sogar den Zusammenhang zwischen der psychischen Belastung durch Covid-19 und Depressionssymptomen puffert.
Wenn es um aktive Freizeitgestaltung geht, sollten wir uns natürlich nicht überfordern – wir sind oft schon genug gefordert, und nicht Selbstoptimierung ist das Ziel, sondern unser eigenes Wohlbefinden. Schon der tägliche Spaziergang, einmal in eine andere Richtung oder neue Gegend, kann - so banal es klingt - unsere Gesundheit schützen.
Quellen:
Abdel Hadi, S., Bakker, A. B., & Häusser, J. A. (2021). The role of leisure crafting for emotional exhaustion in telework during the COVID-19 pandemic. Anxiety, Stress & Coping, Advance online publication. doi: 10.1080/10615806.2021.1903447
Brailovskaia, J., Cosci, F., Mansueto, G., & Margraf, J. (2021). The relationship between social media use, stress symptoms and burden caused by coronavirus ( Covid-19) in Germany and Italy: A cross-sectional and longitudinal investigation. Journal of Affective Disorders Reports, 3, 100067, https://doi.org/10.1016/j.jadr.2020.100067
Brailovskaia, J., Cosci, F., Mansueto, G., Miragall, M., Herrero, R., Baños, R. M., Krasavtseva, Y., Kochetkov, Y., & Margraf, J. (2021). The association between depression symptoms, psychological burden caused by Covid-19 and physical activity: an investigation in Germany, Italy, Russia, and Spain. Psychiatry Research, 295, 113596. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2020.113596[3]
Petrou, P., & Bakker, A. B. (2016). Crafting one’s leisure time in response to high job strain. Human Relations, 69(2), 507-529. https://doi.org/10.1177/0018726715590453
Bildquelle:
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (218)
- Sportpsychologie (38)
- Umweltpsychologie (22)