Therapeutische Behandlung von traumatisierten Geflüchteten: Wann sind TherapeutInnen dazu bereit?
In den letzten Jahren, insbesondere vor der aktuellen COVID-19 Pandemie, kamen sehr viele Menschen nach Europa, die vor bewaffneten Konflikten, Folter, wirtschaftlicher Ausweglosigkeit und aus anderen Gründen fliehen mussten. Viele dieser Menschen haben potenziell traumatisierende Ereignisse erlebt. Da die meisten von ihnen auf absehbare Zeit nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, ist es in den aufnehmenden Ländern notwendig, dass Traumatisierungen psychotherapeutisch dort behandelt werden. Sogenannte Behandlungsbarrieren schließen eine geringe Bereitschaft Geflüchteter zur Aufnahme einer Therapie, strukturelle bzw. bürokratische Hindernisse im aufnehmenden Land und eben auch die Bereitschaft zur Behandlung Geflüchteter durch TherapeutInnen ein. Gerade den letzten Punkt soll dieser Beitrag ein wenig näher beleuchten.
Geflüchtete unterscheiden sich aus psychologischer Sicht von anderen MigrantInnen vor allem dadurch, dass sie zur Migration gezwungen sind (Echterhoff, Hellmann et al., 2020). Dieser Zwang zur Migration ist verbunden mit dem Erleben potenziell traumatisierender Ereignisse, die zur Flucht führen bzw. die erst auf den Migrationsrouten erlebt werden. Wer zur Flucht gezwungen ist, begibt sich aufgrund von Ausweglosigkeit bzw. Alternativlosigkeit auf potenziell gefährlichere Routen, was wiederum damit einhergehen kann, dass man befürchten muss, selber zu ertrinken oder erlebt, wie andere Menschen ertrinken, eine schlechte Behandlung in bestimmten Transitländern erfährt, was bis hin zu Folter reichen kann, etc. Der Bedarf an Therapie ist bei Geflüchteten überdurchschnittlich groß (Schlechter et al., in Druck). Allerdings ist der Prozentsatz Geflüchteter, die eine angemessene Hilfe in Form von Psychotherapie erhalten, extrem gering, was unter anderem daran liegt, dass die Einstellungen gegenüber dem Aufsuchen professioneller psychologischer Hilfe negativer sind als bei Einheimischen (im konkreten Fall bei Deutschen, Schlechter et al., in Druck).
Auch für PsychotherapeutInnen ist die aktuelle Lage mit vielen traumatisierten Geflüchteten, die innerhalb sehr kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind, eine neue Situation. Sie sehen sich nun der Herausforderung gegenüber, dass von ihnen erwartet wird, mit vielen Menschen aus anderen Kulturen zu arbeiten, die gegebenenfalls ganz andere Ausprägungen in den Krankheitsbildern aufweisen. Woran könnte es nun konkret liegen, dass PsychotherapeutInnen eine mehr oder weniger große Bereitschaft zeigen, therapeutisch mit Geflüchteten zu arbeiten? Wir haben kürzlich 111 deutsche PsychotherapeutInnen zum therapeutischen Stil, ihren Grundannahmen, ihren therapeutischen Erfahrungen, privaten und beruflichen Kontakte mit Flüchtlingen, politischen Interessen, Offenheit und praktischen Barrieren befragt (Schlechter, Hellmann, Wingbermühle, & Morina, 2020). Frühere Erfahrungen mit Geflüchteten in einem therapeutischen Umfeld, Offenheit für neue Erfahrungen, das Wohlfühlen in der Arbeit mit einem Dolmetscher in der Therapie und als negativ empfundene Sprachbarrieren zeigten sich als wichtige Einflussfaktoren auf die Bereitschaft von PsychotherapeutInnen, mit Geflüchteten zu arbeiten. Zentral waren auch Selbstzweifel der TherapeutInnen, den Anforderungen in einer Therapie mit Geflüchteten gewachsen zu sein. Besonders die Befunde zu früheren Erfahrungen in der Arbeit mit Geflüchteten scheinen von Bedeutung, da hier gegebenenfalls (positive) Erfahrungsberichte routinierterer KollegInnen zu Einstellungsänderungen führen könnten.
Quellen:
Echterhoff, G., Hellmann, J. H., Back, M. D., Kärtner, J., Morina, N., & Hertel, G. (2020). Psychological antecedents of refugee integration (PARI). Perspectives on Psychological Science, 15(4), 856–879.https://doi.org/10.1177/1745691619898838
Schlechter, P., Hellmann, J. H., Wingbermühle, P., & Morina, N. (2020). Which psychological characteristics influence therapists’ readiness to work with refugees? Clinical Psychology & Psychotherapy. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/cpp.2508
Schlechter, P., Kamp, S., Wanninger, K., Knausenberger, J., Wagner, U., Wilkinson, P., Nohr, L., & Hellmann, J. H. (in Druck). Help-seeking attitudes and distress disclosure among Syrian refugees in Germany and German residents. The Counseling Psychologist.
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