Dabeistehen oder beistehen – Wer hilft, wenn andere gemobbt werden?

Vielleicht haben Sie so etwas auch schon erlebt: Auf der Arbeit gibt es eine Kollegin, über die alle lästern. Oder Sie kennen ein Kind, das in der Klasse immer wieder beleidigt, ausgelacht und gemieden wird. Beides können Beispiele für Mobbing sein. Würden Sie etwas dagegen unternehmen?

Wenn jemand in einer Gruppe über einen längeren Zeitraum hinweg systematisch fertig gemacht wird, nennt man das Mobbing. Gruppen, in denen so etwas passieren kann, sind beispielsweise Schulklassen, aber auch Vereine, berufsbezogene Arbeitsgruppen oder Heime (Monks & Coyne, 2011). Ungünstige Reaktionen in der Gruppe tragen dazu bei, dass aus einzelnen aggressiven Handlungen Mobbing wird: Die wiederholten Angriffe auf das Opfer werden geduldet und die Täter*innen haben ein Publikum. Bei Mobbing in der Schule zeigt ein Großteil der Heranwachsenden Verhaltensweisen, die Mobbing begünstigen. Sie machen mit, lachen oder bleiben untätig. Nur wenige, die Mobbing beobachten, tun etwas dagegen (Lambe et al., 2019; Salmivalli et al., 1996).  Doch warum greifen nicht mehr Personen ein? Und was unterscheidet Helfende von passiven Zuschauern?

Um das zu verstehen, hilft es, die Wahrnehmungen und Gedanken der Zeugen von Notsituationen genauer unter die Lupe zu nehmen. Bevor Anwesende in Notsituationen (auch Bystander genannt) den Hilfsbedürftigen beistehen, müssen sie einen fünfstufigen Prozess durchlaufen (Latané & Darley, 1970): Sie müssen…

1. das Ereignis bemerken,

2. Handlungsbedarf erkennen,

3. persönliche Verantwortung übernehmen,

4. entscheiden wie sie helfen können,

5. tatsächlich eingreifen.

Dieser Prozess kann auch auf Mobbing übertragen werden. Die Grundvoraussetzung dafür bei Mobbing zu helfen ist, dass entsprechende Vorfälle bemerkt werden. In einer Befragung von über 1000 Jugendlichen, gaben über die Hälfte an, Mobbing in der eigenen Klasse mitbekommen zu haben (Knauf, 2022). Doch nur ein Bruchteil greift ein, um zu helfen. Mobbing zu bemerken reicht also allein nicht aus, um etwas dagegen zu tun. Auch Einfühlungsvermögen ist notwendig. Empathie für das Opfer hilft dabei, den Ernst der Lage zu erkennen und zu realisieren, dass jemand Hilfe braucht. Helfende unterscheiden sich von passiven Bystandern auch darin, dass sie die Geschehnisse nicht verharmlosen oder rechtfertigen. Außerdem empfinden sie ein ausgeprägteres Verantwortungsgefühl. Wenn hingegen mehrere Personen von einem Vorfall wissen, verteilt sich die empfundene Verantwortung. Jeder Einzelne fühlt sich weniger verantwortlich. Dieses Phänomen wird in der Psychologie Verantwortungsdiffusion genannt. Die Verantwortung auf andere (z.B. Lehrkräfte, Vorgesetzte oder andere Bystander) abzuschieben ist eine wesentliche Ursache für Untätigkeit bei Mobbing.

Wenn man sich nicht zutraut einzugreifen, ist dies ein weiterer Grund passiv zu bleiben. Wer hingegen weiß was zu tun ist und überzeugt ist, dies auch in die Tat umsetzen zu können, greift mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein. Helfende haben also eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung. Weit verbreitet ist die Annahme, dass aus Angst nicht geholfen wird. Untätigkeit bei Mobbing wird oft mit dem Risiko begründet, sich selbst durch das Helfen in Schwierigkeiten zu bringen. Diejenigen, die bei Schulmobbing helfen, berichten jedoch überraschenderweise nicht weniger Befürchtungen als andere Bystander (Knauf, 2022). 

Im Kontext von Mobbing am Arbeitsplatz gibt es ebenfalls Hinweise darauf, dass Mitgefühl und Selbstwirksamkeit mit einer höheren Bereitschaft zum Helfen einhergehen, während Schuldzuweisungen an das Opfer und Verantwortungsdiffusion Hilfeverhalten hemmen. Auch die Angst durch den Kontakt zum Opfer selbst stigmatisiert zu werden, ist ein Hindernis für Hilfeverhalten (Pouwelse et al., 2021).

Was muss also geschehen, damit mehr Bystander den Opfern von Mobbing beistehen? Der erste Schritt ist, durch Aufklärung für das Thema zu sensibilisieren. Kinder sollten zudem von klein auf darin gefördert werden, sich in andere hineinzuversetzen und Verantwortung zu übernehmen. Möglichkeiten zu helfen sollten eingeübt werden, um die Selbstwirksamkeit zu stärken. Lehrkräfte oder Vorgesetzte müssen außerdem eine klare Haltung gegen Mobbing einnehmen: Beschönigungen oder Ausflüchte dürfen nicht akzeptiert werden. Denn helfen tut nur, wer Mitgefühl hat, sich selbst in der Pflicht sieht und es sich zutraut.

Literaturverzeichnis

Knauf, R.‑K. (2022). Bullying im Klassenverband - doch nicht nur in der Schule: Eine Charakterisierung der Rollen bei Schul- und Cyberbullying. Springer eBook Collection (1st ed. 2022). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36619-3

Lambe, L. J., Della Cioppa, V., Hong, I. K., & Craig, W. M. (2019). Standing up to bullying: A social ecological review of peer defending in offline and online contexts. Aggression and Violent Behavior, 45, 51–74. https://doi.org/10.1016/j.avb.2018.05.007

Latané, B., & Darley, J. M. (1970). The unresponsive bystander: Why doesn't he help? Century psychology series. Appleton-Century Crofts. 

Monks, C. P., & Coyne, I. (2011). Bullying in different contexts. Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/CBO9780511921018

Pouwelse, M., Mulder, R., & Mikkelsen, E. G. (2021). The role of bystanders in workplace bullying: An overview of theories and empirical research. In P. D'Cruz, E. Noronha, E. Baillien, B. Catley, K. Harlos, A. Høgh, & E. Gemzøe Mikkelsen (Eds.), Handbooks of Workplace Bullying, Emotional Abuse and Harassment: Vol. 2. Pathways of job-related negative behaviour (pp. 385–422). Springer Nature. https://doi.org/10.1007/978-981-13-0935-9_14

Salmivalli, C., Lagerspetz, K., Björkqvist, K., Österman, K., & Kaukiainen, A. (1996). Bullying as a group process: Participant roles and their relations to social status within the group. Aggressive Behavior, 22(1), 1–15. https://doi.org/10.1002/(SICI)1098-2337(1996)22:1<1::AID-AB1>3.0.CO;2-T

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