Wenn sich das Gehirn selbst zerstört
Es gibt viele Diagnosen, die man von einem Arzt nicht bekommen möchte. Die Diagnose „ALS“ gehört dazu. Betroffene sterben im Schnitt drei Jahre nach der Erstdiagnose, Heilungsmöglichkeiten gibt es zurzeit keine. Was passiert bei dieser dramatischen Erkrankung, und ist Heilung unmöglich?
„ALS“ steht für Amyotrophe Lateralsklerose und ist eine Erkrankung des motorischen Nervensystems. Sie betrifft etwa 1-3 Menschen pro 100.000, die Tendenz ist leicht steigend. Die ersten Symptome sind variabel und muten zunächst sehr harmlos an. Sie charakterisieren sich durch Schluckbeschwerden, Schwierigkeiten mit der Handfunktion, etwa beim Greifen von schweren Gegenständen, oder durch Zuckungen. Auch spastische Lähmungen oder Probleme beim Laufen können im Frühstadium auftreten.
ALS ist eine progressiv verlaufende Erkrankung des motorischen Nervensystems, deren Symptome sich schlagartig verschlimmern. Die Muskelschwächen, die oft bei einem einzigen Körperteil beginnen, werden schwerwiegender und breiten sich auf andere Körperteile aus. Betroffene sind somit in ihrem alltäglichen Leben stark beeinträchtigt und im weiteren Verlauf auf einen Rollstuhl angewiesen. Der Tod tritt häufig durch Lähmung der Atemmuskulatur oder auch durch Herzstillstand ein. Im Median versterben ALS-Betroffene drei Jahre, nachdem sie ihre Erstdiagnose erhalten haben.
Ein sehr bekannter ALS-Patient war der britische Astrophysiker Stephen Hawking. Da dieser erst im Alter von 76 Jahren an ALS verstarb, die Diagnose aber bereits in jungen Jahren erhalten hatte, wird in der breiten Bevölkerung oft davon ausgegangen, dass ALS einen eher langsamen und stagnierenden Verlauf hat. Stephen Hawking allerdings litt an einer Sonderform der Erkrankung, der chronisch-juvenilen ALS, die einen weitaus langsameren Verlauf nimmt als die klassische ALS.
Die genauen biologischen Ursachen der ALS-Erkrankung liegen noch immer im Dunkeln. Neben genetischen Faktoren spielen gestörte Mikrokreisläufe im Gehirn der Betroffenen eine Rolle, die zur Zersetzung neuronaler Substanz führen. Zudem suggerieren die Ergebnisse einer Studie, dass die Wahrscheinlichkeit, an ALS zu erkranken, bei Fußballspielenden erhöht ist (Chio et al. 2005). Chio und Kollegen analysierten 7325 professionelle Fußballspieler, die zwischen 1970 und 2001 in der italienischen Liga gespielt hatten. Es zeigte sich eine erhöhte Quote an ALS-Erkrankten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gleichen Alters und zudem eine Relation zwischen der Anzahl der Jahre professionellen Fußballspielens und der Erkrankungswahrscheinlichkeit. Es wird daher spekuliert, dass erhöhte Kopfverletzungen das ALS-Risiko erhöhen.
Bisher konnte noch keine erfolgreiche Therapie für ALS entwickelt werden. Da sich im Laufe der Erkrankung Gehirnmaterial zersetzt, gehen Wissenschaftler wie Douglas Kerr davon aus, dass Stammzelltherapien einen Durchbruch erwirken könnten (Nayak et al. 2006). Hier steht die Forschung allerdings noch ganz am Anfang. Gezielte Investitionen in die biologische und medizinische ALS-Forschung scheinen daher unabdingbar, um der Erkrankung auf die Spur zu kommen und Heilungsmethoden zu entwickeln. Der bekannte bildende Künstler Jörg Immendorff, der 2007 an ALS verstarb, hat diesbezüglich einen großen Beitrag geleistet. Er gründete 2004 das Jörg-Immendorff-Stipendium an der Charité Berlin, welches Geld zur Verfügung stellt, um ForscherInnen das Verstehen dieser Erkrankung zu erleichtern (https://www.als-charite.de/joerg-immendorff-stipendium-an-der-charite-ge...). In dieser Hinsicht scheint für uns Forschende festzustehen: Es gibt noch sehr viel zu tun.
Quellen:
Chio, A., Benzi, G., Dossena, M., Mutani, R. & Mora, G. (2005). Severely increased risk of amyotrophic lateral sclerosis among Italian professional football players. Brain, 128(Pt 3), 472–476.
Nayak, M.S., Kim, Y.S., Goldman, M., Keirstead, H.S. & Kerr, D.A. (2006). Cellular therapies in motor neuron diseases. Biochim Biophys Acta, 1762(11-12), 1128-38.
Bildquelle:
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