Ärger, Angst, Mitleid – Vorurteil ist nicht gleich Vorurteil
Vorurteile werden meist nur als eindimensionale „positiv/negativ“-Einschätzungen behandelt. Wenn man genauer hinschaut, findet man jedoch, dass verschiedene soziale Gruppen ganz unterschiedliche Emotionen auslösen. Dies hat damit zu tun, welche Art von wahrgenommener Bedrohung sie für den Betrachter darstellen.
Sind Sie schon einmal zu Ihren Einstellungen gegenüber verschiedenen Menschengruppen, z.B. Flüchtlingen, befragt worden? Was haben Sie geantwortet? Wenn Sie es wie die meisten Menschen gemacht haben, haben Sie wahrscheinlich geantwortet, dass für Sie alle Menschen gleich sind und Sie keine Vorurteile gegenüber verschiedenen Gruppen hätten. Dennoch machen Angehörige von gesellschaftlichen Minderheiten oft die Erfahrung, aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit diskriminiert zu werden. Woher kommt also diese Diskrepanz?
Einerseits könnten wir annehmen, dass Teilnehmende in einer Umfrage sich schlicht nicht trauen, ihre Vorurteile offen auszusprechen. Andererseits gibt es Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass Menschen zwar nicht bewusst voreingenommen sind, jedoch implizit negative Einstellungen gegenüber Mitgliedern verschiedener sozialer Gruppen hegen (siehe dazu diesen In-Mind Artikel: https://de.in-mind.org/article/haben-wir-alle-versteckte-vorurteile-impl...). Explizite und implizite Maβe für Vorurteile haben bei allen Unterschieden eines gemeinsam: sie messen Vorurteile meist nur auf einer positiv-negativ-Dimension und differenzieren nicht weiter.
Den PsychologInnen Catherine Cottrell und Steven Neuberg war diese Evaluation zu grob. Sie verweisen darauf, dass die Eigenschaften, die sozialen Gruppen zugeordnet werden, spezifisch für diese Gruppe sind: mit einer finnischen Person werden sicher andere Eigenschaften verbunden als mit einer italienischen Person. Davon ausgehend wollten sie zeigen, welche spezifischen Emotionen mit verschiedenen sozialen Gruppen assoziiert sind.
Grundlage ihrer Idee war dabei, dass soziale Gruppen, die irgendwie anders als die eigene sind, als Bedrohung wahrgenommen werden können. Diese Bedrohungen können wirtschaftlicher Natur sein, beispielsweise wenn eine soziale Gruppe als unfähig wahrgenommen wird, wirtschaftlich etwas zur Gesellschaft beizutragen. Eine Gruppe kann aber auch die „moralische Integrität“ der eigenen Gruppe bedrohen, wenn sie die eigene Werteordnung in Frage stellt.
Auf Basis dieses theoretischen Fundaments fanden die ForscherInnen, dass beispielsweise homosexuelle Männer für weiße amerikanische Studierende vor allem mit Ekel und Mitleid assoziiert sind. Mexikanisch-stämmige AmerikanerInnen hingegen lösten eher eine breite Mischung aus Angst, Ärger, Ekel, und Mitleid aus. Diese Unterschiede würden von einer reinen positiv-negativ-Evaluation nicht erfasst: Der Durchschnittswert beider Gruppen auf einer reinen positiv-negativ-Einstufung war in etwa gleich. Die emotionalen Reaktionen passten auch zu den angenommenen wahrgenommenen Bedrohungen. Während homosexuelle Männer v.a. als Bedrohung für Werte und Gesundheit wahrgenommen wurden, standen bei der Einschätzung mexikanisch-stämmiger AmerikanerInnen ökonomische Aspekte im Vordergrund.
Warum ist es wichtig zu wissen, welche Emotionen bei welchen Gruppen eine Rolle spielen? Schließlich ist das Endergebnis oft diskriminierendes Verhalten, das es zu verhindern gilt. Erstens können verschiedene Emotionen zu verschiedenen Arten von Diskriminierung führen, z.B. Angst eher zu Vermeidung, Ärger eher zu Aggression. Zweitens bekommen wir dadurch eine Idee wo wir ansetzen sollten, wenn wir Vorurteile abbauen wollen: Wenn Menschen vor einer bestimmten Gruppe Angst haben, sollten Interventionen auf Angstreduktion abzielen. Ist eher Ärger das vorherrschende Gefühl, sollte dieser auch im Fokus der Intervention stehen. Zudem lassen sich dadurch auch gesellschaftliche Veränderungen genauer abbilden. Wenn sich beispielsweise Zuwandernde in einem Land niederlassen und (entgegen der Befürchtung mancher) zum wirtschaftlichen Wohlstand beitragen, können sich im Laufe der Zeit die emotionalen Reaktionen verändern. Ähnliches gilt für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und die Einstellungen gegenüber homosexuellen Menschen. Es lohnt sich also, bei emotionalen Vorurteilen genauer hinzuschauen.
Quellen:
Cottrell, C. A., & Neuberg, S. L. (2005). Different Emotional Reactions to Different Groups: A Sociofunctional Threat-Based Approach to “Prejudice”. Journal of Personality and Social Psychology, 88(5), 770–789. https://doi.org/10.1037/0022-3514.88.5.770
Hinz, T., & Auspurg, K. (2017). Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt. In Handbuch Diskriminierung (pp. 387-406). Springer VS, Wiesbaden.
Ofosu, E. K., Chambers, M. K., Chen, J. M., & Hehman, E. (2019). Same-sex marriage legalization associated with reduced implicit and explicit antigay bias. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(18), 8846-8851.
Vuletich, H. A., & Payne, B. K. (2019). Stability and change in implicit bias. Psychological science, 30(6), 854-862.
Bildquelle:
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (216)
- Sportpsychologie (37)
- Umweltpsychologie (22)