Hochbegabt und außergewöhnlich? Über die Persönlichkeit und den Schulerfolg intellektuell hochbegabter Jugendlicher

Über „Hochbegabte“ existieren viele Vorurteile und Stereotype. Eine Studie von Wissenschaftler:innen der TU Dortmund und der Universität Trier kommt jedoch zu dem Schluss, dass hochbegabte sich kaum von nicht-hochbegabten Jugendlichen unterscheiden. Relevant ist dabei jedoch vor allem das methodische Design der jeweiligen Studie.

Das Interesse am Thema „Hochbegabung“ ist enorm und in der öffentlichen Wahrnehmung ranken sich viele Mythen und Mutmaßungen um vermeintliche Besonderheiten Hochbegabter. Unter intellektueller Hochbegabung versteht man im Allgemeinen eine sehr weit überdurchschnittliche Ausprägung der Intelligenz – gemessen anhand des Intelligenzquotienten (IQ). Hierfür stehen bewährte und zuverlässige Intelligenztests zur Verfügung. International hat man sich darauf verständigt, ab einem IQ von 130 – das sind zwei Standardabweichungen über dem Mittelwert – von einer intellektuellen Hochbegabung zu sprechen.

Vor allem in den Medien (z.B. in Filmen oder Romanen) werden vermehrt Verhaltensbesonderheiten mit hochbegabten Personen in Verbindung gebracht, vor allem im sozial-emotionalen Bereich. Wer kennt zum Beispiel nicht Sheldon Cooper, den hochbegabten und sozial auffälligen Physiker in der Serie „Big Bang Theory“? Schnell neigt man so dazu, entsprechende Besonderheiten mit dem Attribut „hochbegabt“ in Verbindung zu bringen. In diesem Kontext wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die sogenannte „Disharmoniehypothese“ formuliert (Baudson, 2016), die besagt, dass eine Hochbegabung mit Defiziten in der psychischen, sozial-emotionalen oder schulischen Entwicklung einhergehe. Hochbegabte werden demnach zum Beispiel als emotional instabil oder sozial isoliert erachtet.

Mittlerweile existieren jedoch zahlreiche empirische Belege, die gegen die Disharmoniehypothese sprechen (siehe z.B. der Überblick von Francis et al., 2015). Immer dann, wenn gewisse methodische Standards in der Forschung berücksichtigt werden, sind die Unterschiede zwischen Hochbegabten und Nicht-Hochbegabten eher klein und fallen vor allem nicht zuungunsten der Hochbegabten aus. Beispielsweise ist es notwendig, eine vergleichbare nicht-hochbegabte Kontrollgruppe in die Untersuchung miteinzubeziehen. Wie der Name schon sagt, ist hiermit eine Gruppe gemeint, die bis auf den Aspekt der Hochbegabung vergleichbar ist.

Eine Studie von Wirthwein et al. (2019) nutzte dafür eine besondere statistische Methode, um eine identisch große Stichprobe nicht-hochbegabter Jugendlicher zu bilden, die sich hinsichtlich Alter, Geschlecht und sozioökonomischem Hintergrund nicht von den hochbegabten Jugendlichen unterschied. Die Studie hatte das Ziel, ein ganzheitliches Bild der Persönlichkeit und der schulischen Leistungsfähigkeit von hochbegabten Jugendlichen anhand von Selbst- und auch Fremdeinschätzungen der Eltern zu zeichnen. Die Stichprobe umfasste zunächst insgesamt 760 Schüler:innen aus Gymnasien, von denen 97 als hochbegabt eingestuft werden konnten. Diesen 97 Hochbegabten wurde eine identisch große Gruppe Nicht-Hochbegabter gegenübergestellt. Die Ergebnisse widerlegen ganz klar die Disharmoniehypothese: Hochbegabte erzielten bessere Schulnoten als Nicht-Hochbegabte, wiesen eine höhere schulische Motivation auf und schätzen sich selbst als überdurchschnittlich intelligent ein. Darüber hinaus erzielten sie hinsichtlich des Persönlichkeitsmerkmals „Offenheit für Erfahrungen“ geringfügig höhere Werte als Nicht-Hochbegabte und waren demnach aufgeschlossener gegenüber neuen Erfahrungen. Eltern hochbegabter Jugendlicher schätzten ihre Kinder in Bezug auf Motivation und Intelligenz ebenfalls höher als die Eltern nicht-hochbegabter Jugendlicher.

Sofern gewisse methodische Mindeststandards und vor allem eine vergleichbare Gruppe Nicht-Hochbegabter untersucht wird, finden sich also prinzipiell – so auch in der Studie von Wirthwein et al. (2019) – keine Hinweise darauf, dass hochbegabte Kinder und Jugendliche negative Besonderheiten in Bezug auf Persönlichkeit, Motivation oder Schulerfolg aufweisen. Ein hohes Ausmaß an kognitiven Fähigkeiten scheint im Allgemeinen eher ein Schutzfaktor für eine positive Entwicklung zu sein und kein Risikofaktor für psychische Auffälligkeiten oder negative Verhaltensbesonderheiten (Francis et al., 2015). Dies soll jedoch nicht heißen, dass Hochbegabte prinzipiell keine Schwierigkeiten haben können. Diese Schwierigkeiten unterscheiden sich dann aber in der Regel nicht von denen Nicht-Hochbegabter. Lediglich eine sehr kleine Gruppe Hochbegabter (je nach Definition ca. 12% der Hochbegabten, siehe Sparfeldt & Rost, 2012), die sogenannten Minderleister:innen (englisch: Underachiever) können ihr sehr gutes intellektuelles Potential nicht in entsprechende Schulleistungen umsetzen und weisen oft auch Defizite im Lern- und Arbeitsverhalten oder der schulischen Motivation auf (Sparfeldt & Buch, 2018). Bei Verdacht auf eine entsprechende Minderleistung empfiehlt es sich, psychologische Fachkräfte aufzusuchen (z.B. Schulpsycholog:innen), um diese Kinder und Jugendlichen optimal zu unterstützen und zu fördern.

Literaturverzeichnis

Francis, R., Hawes, D. J., & and Abbott, M. (2015). Intellectual *Giftedness and Psychopathology in Children and Adolescents: A Systematic Literature Review. Exeptional Children, 82. https://doi.org/10.1177/0014402915598779

Baudson T. G. (2016). The Mad Genius Stereotype: Still Alive and Well. Frontiers Psychology, 7. https://doi.org.10.3389/fpsyg.2016.00368

Sparfeldt, J. R. & Rost, D. H. (2012). Underachievement: Diskrepanz von Leistungspotential und schulischer Leistung. Erziehung & Unterricht, 162, 435-441.

Sparfeldt. J. R. & Buch, S. R. (2018). Erwartungswidrige Schulleistungen. In D. H. Rost, J. R. Sparfeldt & S. R. Buch (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (5. Aufl., S. 147–157). Weinheim: Beltz.

Wirthwein, L., Bergold, S., Preckel, F. & Steinmayr, R. (2019). Personality and school functioning of intellectually gifted and nongifted adolescents: Self-perceptions and parents' assessments. Learning and Individual Differences, 73, 16-29. https://doi.org/10.1016/j.lindif.2019.04.003

Bildquelle

Dovydas Zilinskas via unsplash