“All die guten Gespräche und durchzechten Nächte kann mir niemand nehmen” – was nostalgische Erinnerungen an das Studium mit Campusschließungen zu tun haben

Nostalgische Erinnerungen an die eigene Studienzeit sind für viele Menschen eine Quelle nachwirkender Zufriedenheit. Dabei ist diese Zeit auch deshalb so zentral, weil sie durch tiefgreifende soziale Beziehungen geprägt wird. Doch was, wenn gerade in dieser Lebensphase für junge Menschen die Möglichkeit eingeschränkt wird, selbstbestimmt in Beziehung zueinander zu treten?

empty classroom„Ich erinnere mich gerne an die Zeiten mit meinen Kommiliton:innen zurück und welchen Spaß wir hatten und wie wir enge Freunde geworden sind“. So lautet die Antwort einer Absolventin auf die Frage danach, was sie in Bezug auf ihr zurückliegendes Studium als besonders positiv in Erinnerung habe. Dabei handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall bzw. eine seltene Einschätzung. Vielmehr zeigt eine aktuelle psychologische Studie, dass das soziale Miteinander in Bezug auf nostalgische Erinnerungen an die eigene Studienzeit von besonders prominenter Bedeutung  ist (Janke et al., 2021). Was vom Studium bleibt, ist eben nicht nur der Abschluss, sondern auch die Erinnerung an durchgefeierte Nächte, gemeinsame Lerngruppen und dann eben auch manchmal Freundschaften fürs Leben. 

Doch selbst dann, wenn die Freundschaften nicht halten, verdeutlichen Studien zu nostalgischen Erinnerungen, dass diese dabei helfen, unseren Selbstwert und unsere Stimmung zu heben (Seehusen et al., 2016). Dass soziale Beziehungen  eine besondere Bedeutsamkeit für solche Erinnerungen einnehmen, zeigt, wie zentral das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit für Menschen ist. Von vielen Forschungsteams wird das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit gar als psychologisches Grundbedürfnis aufgefasst und somit auf eine vergleichbare Ebene mit physiologischen Grundbedürfnissen nach Luft, Nahrung und Schlaf gesetzt (Baumeister & Leary, 1995).

Im Hinblick auf die Möglichkeiten, dieses Grundbedürfnis nach sozialer Eingebundenheit zu befriedigen, hat sich in den letzten beiden Jahren an den Hochschulen einiges geändert. So war eine wesentliche Maßnahme zur Eindämmung der COVID-19- Pandemie die schnelle Schließung von Bildungseinrichtungen bei gleichzeitiger Digitalisierung von Unterricht und universitärer Lehre. Beispielhaft für zahlreiche OECD-Länder wurden in Deutschland Schulschließungen allerdings bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 sorgsam im Hinblick auf die jeweilige pandemische Lage abgewogen. Im Kontrast dazu blieben zahlreiche Hochschulen fast ununterbrochen bis zum Wintersemester 2021 geschlossen ( OECD, 2021). Dies bedeutet auch, dass die Studierendenkohorte 2020 ihr gesamtes erstes Studienjahr vielerorts fast ausschließlich im Fernstudium verbrachte.

Während für diese neu eingeschriebenen Studierenden noch Vergleichswerte fehlen, zeigt sich für Studierende, die schon vor Beginn der Maßnahmen eingeschrieben waren, ein bedeutsamer Anstieg an Gefühlen der Vereinsamung in Folge der Campusschließungen (Werner et al., 2021). Auch wenn die Digitalisierung universitärer Lehre in Zeiten der Campusschließung die Wissensvermittlung sicherstellt, kann die Vielfalt des studentischen Lebens auf dem Campus wohl nur schwer kompensiert werden. 

In der eingangs beschriebenen Befragungsstudie wurden die Absolvent:innen auch dazu befragt, ob sie in Bezug auf ihr Studium etwas besonders bereuen würden. Im Kontrast zur Nostalgie können solche reuevollen Erinnerungen die Stimmung im Hier und Jetzt negativ beeinflussen und noch lange nachwirken (Lecci et al., 1994). Der Mangel an bedeutungsvollen sozialen Beziehungen wurde nur von einer Minderheit der befragten Absolvent:innen bedauert. Die Absolvent:innen hatten jedoch auch bereits zwischen 2016 und 2017 ihr Studium beendet. Es ist denkbar, dass sich die aktuelle Studierendengeneration gerade im Hinblick auf das soziale Miteinander reuevoller an das eigene Studium zurückerinnern wird. Ob dies tatsächlich später einmal der Fall sein wird, wird möglicherweise auch davon abhängen, wie sehr in Zukunft die sozialen Bedürfnisse von Studierenden bei der Umsetzung von Campusschließungen in den Blick genommen werden.

 

Quellen:

Baumeister, R. F., & Leary, M. R. (1995). The need to belong: desire for interpersonal attachments as a fundamental human motivation. Psychological Bulletin, 117 (3), 497-529. https://doi.org/10.1037/0033-2909.117.3.497

Janke, S., Alsmeyer, M., Neißner, M., & Rudert, S. C. (2021). University in the rear-view mirror: psychological needs in pleasant and unpleasant memories of alumni. Studies in Higher Education. Advance online publication. https://doi.org/10.1080/03075079.2021.1916905

Lecci, L., Okun, M. A., & Karoly, P. (1994). Life regrets and current goals as predictors of psychological adjustment. Journal of Personality and Social Psychology, 66 (4), 731–741. https://doi.org/10.1037/0022-3514.66.4.731.

OECD (2021). The State of Higher Education – One Year into the Pandemic. https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/83c41957-en.pdf

Seehusen, J., Epstude, K., Wildschut, T., & Sedikides, C. (2016). Macht uns Retro glücklich? Über die Bedeutung von Nostalgie für das psychische Wohlbefinden. In-Mind Magazin. https://de.in-mind.org/article/macht-uns-retro-gluecklich-ueber-die-bede...

Werner, A. M., Tibubos, A. N., Mülder, L. M., Reichel, J. L., Schäfer, M., Heller, S., ... & Beutel, M. E. (2021). The impact of lockdown stress and loneliness during the COVID-19 pandemic on mental health among university students in Germany. Scientific Reports, 11(1), Article 22637. https://doi.org/10.1038/s41598-021-02024-5

Bildquelle:

Wokandapix via Pixabay

CC